Wie soll’s jetzt weitergehen?
Diese Frage stellen sich die arbeitenden Strafvollzugsbediensteten ebenso wie die unter dem Lockdown leidenden Bürgerinnen und Bürger. Nachdem die erste Phase im Kampf gegen das SARS-CoV-2-Virus weitgehend abgeschlossen ist, versuchen Bund und Länder uns wieder ein Stück Normalität zurückzugeben.
Bislang haben wir gegen das Virus mit eher archaischen Mitteln angekämpft, jetzt soll Maskenpflicht und Handy-Ortung uns vor weiteren Infektionen schützen. Hoffentlich wird jetzt auch zeitnah gehandelt, nachdem endlich Einvernehmen über die rechtlichen Rahmenbedingungen erzielt wurde.
Der Strafvollzug ist bislang nicht zu einem Hotspot der Ansteckung geworden. Gegenwärtig sind in NRW drei Inhaftierte und wenige Kolleginnen und Kollegen positiv getestet. Dies ist nicht dem Umstand zu verdanken, dass wir sehr konsequent gegen das Virus vorgegangen wären. Nein - im Gegenteil: Wir haben uns darauf verlassen, dass uns die Abgeschlossenheit der Vollzugseinrichtungen den notwendigen Infektionsschutz bietet.
Deshalb wurden die sozialen Kontakte gekappt. Bislang ist die Rechnung aufgegangen. Es ist jedoch zu befürchten, dass dies nicht so bleiben wird. Über kurz oder lang wird das Virus vermutlich über das Personal in die Einrichtungen gelangen. Es dürfte lediglich eine Frage der Zeit sein, bis es soweit ist.
Tritt eine solche Situation ein, dürfte das der Supergau werden, weil in einer Einrichtung, in der Menschen in Enge zusammenleben, weitere Infektionen kaum zu verhindern sind. Das Ansteckungsgeschehen in den Pflegeeinrichtungen war ein Vorgeschmack auf das, was uns dann bevorstehen dürfte. Der Vollzug wäre folglich gut beraten, Vorsorge zu treffen. Bislang ist es Aufgabe der einzelnen Einrichtungen für die benötigte Schutzausrüstung zu sorgen. Diese Aufgabenzuweisung dürfte vor dem Hintergrund erfolgt sein, dass FFP-Masken, die den Träger vor einer Infektion schützen, auf dem Markt nur schwer erhältlich sind. Zudem werden Preise aufgerufen, die jenseits von Gut und Böse liegen.
Seit Beginn der Pandemie ist jedoch so viel Zeit vergangen, dass es Bund und Ländern möglich gewesen sein sollte, den Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, nämlich auf eine auskömmliche Bevorratung von Schutzausrüstungen und auf deren Eigenproduktion zu verzichten. Ausreichende Luftfrachtkapazitäten dürften auch vorhanden sein, um die benötigten Masken aus China nach Deutschland zu bringen. Deshalb sollte das Ministerium die Beschaffung der Schutzausrüstungen jetzt an sich ziehen, um die Einrichtungen auskömmlich auszustatten.
Immerhin gehört der Vollzug zu den systemrelevanten Bereichen der Gesellschaft und da sollte alles unternommen werden, um Infektionsgefahren sicher auszuschließen. Dem Vernehmen nach sind Anstalten dazu übergangen, die Kolleginnen und Kollegen darüber abstimmen zulassen, ob in den betreffenden Einrichtungen Masken getragen werden sollen oder auch nicht.
Ein solches Vorgehen hält der BSBD für mehr als nur bedenklich. Denn wird das Tragen von Masken oder Mund-Nasen-Schutz tatsächlich untersagt, erhöht sich zwangsläufig das Risiko, dass infizierte Kolleginnen und Kollegen, bei denen noch keine Krankheitssymptome aufgetreten sind, das Virus unbeabsichtigt in die Einrichtungen tragen. Zudem zweifelt der BSBD stark an, dass man Menschen durch Abstimmung ein Verhalten untersagen darf, das außerhalb der Vollzugseinrichtungen von ihnen bei Androhung eines Bußgeldes verlangt wird.
Die jetzt gewählte Praxis ist eine völlig indiskutable. Wegen der vielen unterschiedlichen Regelungen und Vorgehensweisen, die in den einzelnen Einrichtungen praktiziert werden, wird das Ziel, Infektionen zu vermeiden und Infektionsketten zu unterbrechen, wohl nicht erreicht werden können. Das Ministerium der Justiz ist deshalb gefordert, den Umgang und die Ausstattung der Kolleginnen und Kollegen mit Schutzausrüstungen zentral zu organisieren und zu managen, um Verwerfungen der geschilderten Art zu vermeiden.
Es darf doch nicht sein, dass wir uns im öffentlichen Raum der Maskenpflicht unterwerfen und soziale Distanz üben, während des Dienstes daran aber unter Umständen gehindert werden, obwohl hier das Abstandsgebot regelmäßig nicht eingehalten werden kann. Bei solchen Regelungen darauf zu hoffen, dass Infektionen nicht auftreten, ist mehr als blauäugig und geradezu fahrlässig.
Zwischenzeitlich sind die Kapazitäten für die Durchführung von Testverfahren deutlich ausgeweitet worden, seit die Einrichtungen der Veterinärmedizin genutzt werden. Daher erneuert der BSBD seine Forderung, die Kolleginnen und Kollegen regelmäßig testen zu lassen. Nur die Kombination von regelmäßigen Tests und die Verfügbarkeit von FFP-Masken, die dem Träger weitgehenden Infektionsschutz bieten, wird in der Lage sein, über Einzelfälle hinausgehende Ansteckungen dauerhaft zu vermeiden.
Falls die Infektionszahlen nicht signifikant steigen, wird das Leben außerhalb der Vollzugseinrichtungen weiter normalisiert werden. Hierdurch ergeben sich zusätzliche Risiken für den Vollzug, die nach Auffassung des BSBD nur durch regelmäßige Testverfahren und die Verfügbarkeit wirksamer Schutzausrüstung beherrscht werden können.
Die bisherige Praxis in den Vollzugseinrichtungen gründet auf der Beschränkung des Zugangs zu den Vollzugseinrichtungen und auf Glück. Diese Gestaltungselemente werden auf Dauer nicht ausreichen, um das Infektionsgeschehen dauerhaft Unter Kontrolle zu halten. Auch im Vollzug gilt: Notwenige Maßnahmen müssen solange aufrechterhalten werden, bis ein Impfstoff oder ein Medikament gegen COVID-19 zur Verfügung steht. Und diese Wegstrecke überstehen wird nur, wenn wir uns effektiv schützen und periodisch getestet wird.
Infektionsschutzmasken nur für Verdachts- und Abklärungsfälle vorzuhalten, verkennt den Umstand, dass Menschen auch bereits Virusüberträger sein können, bevor Krankheitssymptome auftreten. Das macht das Virus ja gerade so tückisch. Um hier auf der sicheren Seite zu sein, sind periodische Tests einfach unverzichtbar.
Sollte ein solches Vorgehen immer noch daran scheitern, dass Schutzausrüstungen nicht in ausreichender Zahl oder nicht für den Vollzug beschafft oder Testkapazitäten nicht bereitgestellt werden können, dann sollte dies offen kommuniziert werden. Bitte nicht die Praxis übernehmen, die der Bund angewandt hat: Zunächst die Verwendung von Masken als unwirksam darstellen, weil sie nicht zur Verfügung standen, um sich anschließend für die Maskenpflicht auszusprechen.
Die Strafvollzugsbediensteten, die gegenwärtig ein beträchtliches Risiko im Dienste unserer Gesellschaft zu tragen haben, verdienen es, dass ihnen reiner Wein eingeschenkt und ihnen die Wahrheit vermittelt wird. In diesem Fall wäre es allerdings unverzichtbar, Perspektiven für das Erreichen eines sachgerechten Umgangs mit der Corona-Pandemie aufzuzeigen.
Friedhelm Sanker