Thomas Middelhoff: Vom Topmanager zum Reformer des Strafvollzuges?
Die Hybris des Managers war schon immer stark ausgeprägt, doch jetzt scheint Middelhoff ein neues Niveau der Selbstüberschätzung erreicht zu haben. Er sieht sich tatsächlich als Strafvollzugsreformer. Der wegen Untreue zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilte Middelhoff, der seine Strafe derzeit im offenen Strafvollzug verbüßt, hat ein Buch mit dem Titel „A 115 - Der Sturz“ vorgelegt.
Mit literarischen Mitteln versucht er, seinen Aufenthalt in der Untersuchungshaft und seinen Absturz als Manager aufzuarbeiten. Und weil er schon einmal dabei ist, fühlt er sich auch gleich bemüßigt, vermeintliche Schwachstellen von Justiz und Strafvollzug in einen Reformprozess zu überführen. Da ist es wieder, dieses hohe Maß an Überheblichkeit, mit dem Middelhoff immer den anderen die Schuld an seinem Schicksal zuweist.
Kritiker bescheinigen Middelhoff einen lockeren, kreativen Schreibstil. Doch wozu setzt er ihn ein? Um einmal niederzuschreiben, mit welch überbordender Eitelkeit und arroganter Attitüde er bislang durchs Leben gehastet ist und dabei anderen Menschen und deren Vermögen so manchen Schaden zugefügt hat? Sollte es womöglich ein Akt der Selbsterkenntnis und Selbstreinigung werden? Wenn er diesen Anspruch hatte, dann kommt er in seinem autobiografischen Werk doch ziemlich schmalbrüstig daher.
Middelhoff arbeitet sich lieber an Richtern, Vollzugsbeamten und Mitgefangenen ab. Womöglich in der Hoffnung, dass sich solcherlei Geschichten gut verkaufen lassen. Denn eines wird dem Leser sofort klar: Hier gibt nicht ein „reuiger Sünder“ Einblick in sein Seelenleben. Nein, hier ist jemand, dem man vermeintlich schlimm mitgespielt hat, auf einem Rechtfertigungstrip. Nach dem Motto „Schuld sind immer die Anderen“ präsentiert Middelhoff seine Sicht auf die Akteure seines Prozesses einer interessierten Öffentlichkeit.
Und weil er während der paar Wochen Untersuchungshaft in der JVA Essen so nachhaltig erhellende Erkenntnisse über den deutschen Strafvollzug sammeln konnte, erhebt er auch den Anspruch, Reformen desselben anstoßen zu dürfen. „Deutsche Haftanstalten des geschlossenen Vollzugs sind in der öffentlichen Wahrnehmung wie ein schwarzes Loch, in dem vieles verschwindet und aus dem wenig herausdringt“, befindet Middelhoff und bescheinigt dem Vollzug, dass nicht etwa die Resozialisierung, sondern das Wegschließen im Mittelpunkt stehe.
Dabei hat Delinquent Middelhoff gar keinen behandlungsorientierten Vollzug kennengelernt. Er war nur in der Untersuchungshaft untergebracht, wo die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens und die Verhinderung von Flucht-, Verdunklungs- und Wiederholungsgefahr den Zweck der Inhaftierung bilden und nicht etwa die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach verbüßter Strafe. Welch einem anmaßenden Egoismus muss man anheimfallen, um sich nach einigen Wochen Untersuchungshaft als Vollzugsexperte zu wähnen, der den „ganzen Laden“ sachgerecht zu reorganisieren vermag?
Mit absoluter Berechtigung hat deshalb NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) die Anwürfe Middelhoffs gegen den Vollzug zurückgewiesen. „Wenn er sich jetzt über den Zustand seiner Zellentoilette beklagt, kommt das etwas spät. Wir hätten ihm gerne Reinigungsmittel zur Verfügung gestellt.“ Das beanstandete Sanitärrequisit wurde im Übrigen nur durch Herrn Middelhoff benutzt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Dabei ist Middelhoff, wenn man seine Zeit im Vollzug betrachtet, ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht gewesen. In der Untersuchungshaft hat er auf seine latente Suizidgefahr hinweisen lassen, um den durch die nächtlichen Beobachtungen verursachten „Schlafentzug“ durch seine Verteidiger in den Medien als Folter anprangern zu lassen, die schlimmer sei als in Guantanamo. So sollte wohl das Ziel der Aufhebung des Haftbefehls angestrebt werden.
Middelhoff war es jeden Tag möglich, während der Tagesstunden zu ruhen oder zu schlafen, ohne aus Anlass von Beobachtungen gestört zu werden. Schließlich war Middelhoff während der Untersuchungshaft nicht zur Arbeit verpflichtet. Dank seiner Prominenz machten sich auch progressive Politiker seine Vorwürfe zu eigen und skandalisierten das Vorgehen des Vollzuges. Dabei hatten sich die Vollzugsbeamten im Rahmen des geltenden Rechtes bewegt. In besonders verwerflicher Weise hatte sich seinerzeit Renate Künast von den Grünen hervorgetan, die sich ganz in den Dienst der durchschaubaren Kampagne der Middelhoff-Anwälte stellte.
Aber auch bei Antritt der Strafhaft versuchte Middelhoff die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie für ihn vorteilhaft waren. So schaffte er es, die mit ihm befassten Bediensteten zu überzeugen, ihn nicht in die Einweisung nach Hagen zu schicken, wodurch ihm Erfahrungen mit dem geschlossenen Vollzug leider vorenthalten wurden. Außerdem wurde ihm sofort eine Weiterbeschäftigung gewährt, so dass er sich nur während der arbeitsfreien Zeit in der Vollzugseinrichtung aufhalten musste. Weiterbeschäftigungen sind normalerweise dafür gedacht, ein lange Zeit bestehendes Arbeitsverhältnis auch während der Inhaftierung fortführen zu können, damit der Betroffene durch die Haft nicht in existenzielle Schwierigkeiten gerät.
Nicht so im Fall des Herrn Middelhoff. Er hatte erst wenige Tage vor dem Antritt der Strafhaft eine Hilfstätigkeit in einer Einrichtung der Bethelschen Anstalten aufgenommen, die er vermutlich nur für die Dauer der Inhaftierung begründet hat. Die Zukunft wird es zeigen, ob Middelhoff auch nach der Entlassung noch dieser Tätigkeit nachgehen wird. Bei der Genehmigung jedenfalls setzte er ganz auf die Prominenz seiner Person und hatte damit offensichtlich Erfolg. Dabei war eine Förderungswürdigkeit seiner erst wenige Tage andauernden Hilfstätigkeit wohl eher nicht gegeben.
Es stünde Middelhoff folglich gut zu Gesicht, sich nicht immer als Opfer und Strafvollzugsexperte zu gerieren. Sinnvoller und vor allem ehrlicher wäre es, dem Leser seines Werkes reinen Wein einzuschenken und zu offenbaren, dass die Triebfeder seines Handelns wohl allein das Streben nach Geld sein dürfte. Außerdem sollte er sich einmal die Frage vorlegen, welcher Strafvollzug außer dem deutschen es ihm, Middelhoff, ermöglichen würde, durch die Talkshows der Republik zu tingeln, um sein Buch zu promoten?
Und was seine kritische Analyse des Vollzuges betrifft, die er mit neueren Ergebnissen der Forschung garniert, kann man ihm den altruistischen Anspruch, etwas Gutes für die Gesellschaft leisten zu wollen, nicht so recht abnehmen. Es sind zwar Ansätze von Selbsterkenntnis vorhanden, doch zeigt sich überwiegend, dass Middelhoff nicht der Mann für den Zuschauerraum, sondern für die Bühne ist. Es bleibt zu hoffen, dass Thomas Middelhoff ein Stück Selbsterkenntnis in sein späteres Leben nach der Inhaftierung hinüberzuretten vermag.
Die Reform des Strafvollzuges jedenfalls ist in den Händen von Wissenschaftlern und Vollzugsexperten besser aufgehoben. Denn auch die berufliche Karriere Middelhoffs zeigt, dass dort mehr Schatten als Licht zu finden ist. Für Bertelsmann hat er zwei sehr erfolgreiche Akquisitionen realisiert, alles was danach kam, trug oftmals den Keim des Scheiterns in sich.
Friedhelm Sanker