Tarifrunde für Bund und Kommunen: Harte und zähe Verhandlungen absehbar
In Potsdam sind heute die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit der Arbeitgeberseite zur ersten Verhandlungsrunde zusammengetroffen. Bei den Verhandlungen geht es um die Einkommen von insgesamt 2,5 Millionen Kolleginnen und Kollegen, 1,6 Million Beschäftigte des Bundes und der Kommunen, 190.000 Bundesbeamte und 500.000 Versorgungsempfänger.
Für den dbb machte Verhandlungsführer Ulrich Silberbach unmissverständlich klar, dass es für die Kolleginnen und Kollegen in dieser Tarifrunde um die Verhinderung von Reallohnverlusten und den Ausgleich der bereits eingetretenen Kaufkraftminderung gehen wird. „Wir haben nichts zu verschenken“, brachte der dbb-Chef die Gewerkschaftsposition auf den Punkt.
Für die Arbeitgeberseite liegt die Verhandlungsführung dieses Mal in Händen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Vorsitzenden der kommunalen Arbeitgeberverbände, Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD). Wer nun gedacht hätte, die Damen würden sich dieser Aufgabe empathischer und mit mehr Einfühlungsvermögen für die schwierige wirtschaftliche Lage auch der Kolleginnen und Kollegen annehmen, sieht sich bislang getäuscht. Die beiden Damen hatten nichts anderes im Gepäck als die Männerriegen vor ihnen.
Auch sie wichen nicht davon ab, zunächst hinhaltend zu taktieren und sich entsprechend der seit langem eingeübten Rituale zu verhalten, obwohl sie dies selbst im Vorfeld der Verhandlung beklagt hatten. Sie machten darauf aufmerksam, dass die Kommunen durch die Pandemie, die Inflation und den Überfall Russlands auf die Ukraine ebenso betroffen seien wie die Bürgerinnen und Bürger. Der Bund habe daneben mit seinen Rettungspaketen eine Herkulesaufgabe geschultert, um die preislichen Übertreibungen des Energiemarktes finanziell abzufedern und erträglich zu gestalten. Weiteren finanziellen Handlungsspielraum gebe es kaum noch.
Die Arbeitgeberseite legte kein Angebot auf den Verhandlungstisch, was die Gewerkschaftsseite nicht gerade erfreut zur Kenntnis nahm. Der dbb-Chef Ulrich Silberbach prognostizierte denn auch, dass die Verhandlungen nicht vergnügungssteuerpflichtig wären. „Was wir brauchen, ist ein verhandlungsfähiges Angebot. Auf Rituale und Respektlosigkeiten können wir verzichten!“ Der Gewerkschafter verwies darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen einen hohen Abschluss benötigten, um die Auswirkungen der Inflation einigermaßen tragen zu können. Deshalb sei auch das Streikpotenzial der Kolleginnen und Kollegen derzeit besonders hoch. „Es macht natürlich keinen Spaß, den Bürgerinnen und Bürgern den Alltag zu erschweren.“ Leider, so Ulrich Silberbach, benötige die Politik den Druck von Streiks und Demonstrationen, um im Innenverhältnis zu der Einsicht zu gelangen: „Ab hier müssen wir den Gewerkschaften entgegenkommen!“
Bevor sich die Verhandlungsdelegationen vertagten, bekräftigten sie ihre konträren Ansichten und Standpunkte. Diese erwartbare, aber angesichts der aktuell schwierigen Lage problematische Position der Arbeitgeber veranlasste die Gewerkschaften dazu, darauf zu verweisen, dass die Kolleginnen und Kollegen überaus kampfbereit seien. Die Arbeitgeberseite solle davon ausgehen, dass eine strikte Verweigerungshaltung weitreichende Arbeitsniederlegungen zur Folge hätte. Es sei daher vernünftiger, bei der kommenden Verhandlungsrunde ein abschlussfähiges Angebot auf den Tisch zu legen und auf ritualisierte Drohgebärden zu verzichten. Viele Kolleginnen und Kollegen seien nur noch bedingt in der Lage, die hohen Lebenshaltungs- und Energiekosten zu schultern. Sie seien folglich auf mehr als nur einen Inflationsausgleich zwingend angewiesen. Wegen der Nachwuchskrise und der Überalterung des öffentlichen Dienstes müsse dieser attraktiver und wettbewerbsfähiger werden.
Einen ersten Vorgeschmack davon, was die Betroffenen von den Verhandlungen erwarten, erhielten die Verhandlungsdelegationen bereits vor dem Tagungsgebäude. Dort hatten sich zahlreiche Gewerkschaftsgruppen eingefunden, um die Positionen ihrer Vertreter nachdrücklich und lautstark zu unterstützen.
In Düsseldorf bewertete BSBD-Chef Ulrich Biermann die erste Runde mit einer gehörigen Portion Enttäuschung. „Ich hatte gehofft, die Arbeitgeber seien an einem schnellen Abschluss interessiert. Dies scheint nach dem Ergebnis der ersten Verhandlungsrunde nicht der Fall zu sein.
Die Arbeitgeberseite wartet augenscheinlich ab, ob die Gewerkschaftsbasis auch tatsächlich bereit ist, für die Gewerkschaftsforderungen zu streiken und auf den Straßen der Republik zu demonstrieren“, mutmaßte Biermann. „In den Bundesländern sollten wir ein großes Interesse daran haben, dass die Tarifrunde für Bund und Kommunen positiv verläuft. Sie hat vorentscheidende Bedeutung für unsere im Herbst anstehenden Verhandlungen für die Bundesländer. Wir sind deshalb gut beraten, die Kolleginnen und Kollegen des Bundes und der Kommunen in dieser Tarifauseinandersetzung im eigenen Interesse solidarisch zu unterstützen“, umriss der Gewerkschafter, dass die Tarifrunde noch zu einer großen Herausforderung werden könnte.
Der dbb ist mit eine der höchsten Forderungen, die Gewerkschaften in den vergangenen fünf Jahrzehnten aufgestellt haben, in die Tarifverhandlungen gegangen. Die Forderung zielt darauf ab, den eingetretenen Kaufkraftverlust auszugleichen und den öffentlichen Dienst ein Stück weit attraktiver zu machen: 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens 500 Euro, sind deshalb notwendig und angemessen.
Zentraler Bestandteil der Forderung ist die Laufzeit des Tarifvertrags. Angesichts der Unwägbarkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung soll sie so kurz wie möglich gehalten werden. Der neue Tarifvertrag soll 12 Monate gelten, dann sollte neu verhandelt werden.
Die aktuelle Tarifrunde kann nach deren Auftakt Veranstaltung konfrontativ werden. Die Gewerkschaften gehen allerdings davon aus, dass sie die besseren Argumente auf ihrer Seite haben. Fest steht nämlich: Nach vielen Jahren im Krisenmodus hat der öffentlichen Dienst - ähnlich wie andere große Branchen - eine deutliche Gehaltssteigerung verdient. Für eine deutliche Erhöhung der Einkommen sind die nachstehenden Überlegungen maßgeblich, die uns ein massives Plus auf dem Konto fordern lassen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen auf die deutsche Energieversorgung ist immer noch wirksam. Auch wenn der Winter bisher nicht so kalt wie befürchtet war, die Kosten für Gas und Strom sind massiv gestiegen. Die Inflation war und ist auf einem Allzeithoch. Im November stieg die Teuerung sogar auf 10 Prozent. Im Jahresdurchschnitt 2022 sind die Verbraucherpreise um 7,9 Prozent gegenüber 2021 gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, lag die Jahresteuerungsrate damit deutlich höher als in den vorangegangenen Jahren.
Das spüren auch die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst. Ein Großteil ist in den unteren und mittleren Entgeltgruppen eingruppiert. Die Energiekosten sind so hoch, dass fast alle Beschäftigten Angestellte, Beamte und auch Pensionäre schauen müssen, wie sie über die Runden kommen. Auch die stark gestiegenen Mieten sorgen dafür, dass das frei verfügbare Einkommen immer geringer wird.
Die letzte Tarifeinigung im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen liegt mittlerweile 2,5 Jahre zurück. Die Verhandlungen standen seinerzeit unter dem Eindruck der beginnenden Corona-Pandemie. Das damalige Ergebnis sah ein Gehaltsplus von bis zu 4,5 Prozent in den unteren und 3,2 Prozent bei den oberen Entgeltgruppen vor. Der Tarifvertrag hatte eine Laufzeit von 28 Monaten, dementsprechend gering ist die Bilanz in Summe der vergangenen drei Jahre. Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren es dies keine fetten Jahre.
Der öffentliche Dienst hat in der Coronakrise enorm viel leisten müssen: In Krankenhäusern, Vollzugseinrichtungen, Kitas, in der kommunalen Verwaltung, den Finanzämtern oder in der Entsorgung. Der Krisenmodus wurde verschärft durch politische Entscheidungen, die kurzfristig und häufig auch unausgegoren waren und von der Verwaltung oder dem Gesundheitswesen umgesetzt werden mussten.
Im Gesundheits- sowie dem Erziehungsbereich des öffentlichen Dienstes waren die meist weiblichen Beschäftigten einem großen Risiko ausgesetzt, selbst an Corona zu erkranken. In den verschiedenen Wellen der Pandemie fielen zahlreiche Überstunden an, da der Krankheitsausfall von Kolleginnen und Kollegen kompensiert werden musste. Diese Leistungen, die klaglos erbracht worden sind, müssen jetzt auch einmal honoriert werden.
Seit Jahren warnen Wissenschaft und Gewerkschaften vor akutem Personalmangel. Nach Einschätzung des dbb fehlen im öffentlichen Dienst 360.000 Beschäftigte. Diese Rechnung zieht dafür nicht nur die aktuell offenen Stellen heran, sondern nimmt auch den Personalbedarf in den Blick, der aus neuen Aufgaben resultiert. Im Staatsdienst muss jetzt endlich ernst gemacht werden mit einer Digitalisierung, die auch die Hemmnisse unserer föderalen Strukturen zu überwinden in der Lage ist. Das ist ein komplexer Transformationsprozess, der alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung enorm fordern wird.
An vielen Stellen wird der Personalmangel dadurch kompensiert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzliche Aufgaben übernehmen oder einspringen, wenn Stellen nicht besetzt sind. Dieser Einsatz muss jetzt auch einmal belohnt werden.
Experten sind sicher: Der Transformationsprozess der Digitalisierung wird im öffentlichen Dienst nur gelingen, wenn es exzellent ausgebildete Fachkräfte gibt, die diesen technisch, aber auch rechtlich anspruchsvollen Weg effektiv gestalten. Deshalb geht es um eine gute Bezahlung von IT-Fachleuten, aber auch um eine Aufwertung vieler bestehender Berufsbilder, die sich durch die Digitalisierung nachhaltig verändern werden.
Längst sind nicht nur Tech-Spezialisten Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Auch bislang unverdächtige Berufe wie der Sachbearbeiter, die Verwaltungssekretärin oder der Hausmeister sind aktuell schwer zu finden. Gerade ländliche Kommunen haben bereits erhebliche Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Deshalb muss die Vergütung so gestaltet werden, dass sie mit vergleichbaren Bereichen Schritt halten kann.
In den kommenden Monaten wird die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen immer wieder Thema in den Medien sein. Und auch die Tendenz dürfte klar sein: Ein funktionierender Staat benötigt ausreichend Personal und angemessene Bezahlung. Die Beispiele von Metall- und Elektrobranche vermitteln einen Eindruck davon, in welchen Regionen sich ein Tarifabschluss bewegen müsste. Die beiden Branchen haben sich für deutlich erhöhte Entgeltsteigerungen und eine Inflationsprämie von je 3.000 Euro entschieden. In der Metall- und Elektroindustrie sieht das folgendermaßen aus: Die Entgelte werden in zwei Schritten um insgesamt 8,5 Prozent erhöht. Daneben wird in ebenfalls zwei Schritten die besagte Inflationsprämie gezahlt.
Wirtschaftswissenschaftler haben die exorbitant angezogene Inflation zunächst für ein vorübergehendes Phänomen gehalten und sehen auch gegenwärtig den Scheitelpunkt der Entwicklung bereits erreicht. Das Dumme ist nur, wenn ihre Erwartungen erneut nicht eintreten, stehen die Kolleginnen und Kollegen finanziell im Regen. Deshalb geht an massiven Einkommenserhöhungen und eine möglichst kurze Vertragslaufzeit kein Weg vorbei.
Insgesamt 2,5 Millionen Menschen werden nach dem TVöD, den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes bezahlt. Eine deutliche Erhöhung der Gehälter wäre praktisch ein Konjunkturprogramm für die Kaufkraft im Land. Seit Mieter und Eigentümer vor der nächsten Energieabrechnung zittern müssen, halten sie sich beim Konsum zurück. Die Binnenkonjunktur bedarf daher dringend der Stärkung. Handel und Dienstleistungen sind regional verwurzelt und von zahlungskräftigen Kunden abhängig. Machen sie guten Umsatz, spült das auch Geld in die Kassen der Kommunen. Eine kräftige Einkommenserhöhung ist daher für die kommunalen Arbeitgeber auch eine Möglichkeit, Einnahmen zu generieren.
Nach Bekanntgabe der Gewerkschaftsforderungen für die aktuelle Tarifrunde haben die kommunalen Arbeitgeber mit scharfer Kritik nicht gespart. Aus ihrer Sicht sind 10,5 Prozent zu viel und nicht leistbar. Zudem haben sie mehrfach vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt. Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass diese Warnungen offensichtlich unbegründet sind. Eine Tendenz zur Entwicklung einer Lohn-Preis-Spirale ist gegenwärtig nicht einmal ansatzweise erkennbar.
Seit einigen Jahren ist seitens der öffentlichen Arbeitgeber die Unsitte zum strategischen Ritual erhoben worden, ein ernsthaftes Angebot erst in der letzten Verhandlungsrunde auf den Tisch zu legen. Augenscheinlich wollen Nancy Faeser und Karin Welge diese Unsitte beibehalten. Ein solches Verhalten fordert zu Warnstreiks geradezu heraus. Die Gewerkschaften haben bislang vergeblich gefordert, mit konstruktiven Verhandlungen sofort zu beginnen und nicht immer erst mit der letzten Nachtsitzung.
Warnstreiks sind bereits ab dem 25. Januar 2023 möglich und wenn sich die Positionen und Fronten verhärten, sind auch Flächenstreiks nicht ausgeschlossen. Die Arbeitgeber sind deshalb gut beraten, den Fuß schnell von der Bremse zu nehmen und endlich mit konstruktiven Verhandlungen zu beginnen.
Friedhelm Sanker