Tarifeinheitsgesetz: Lokführer müssen als Sündenböcke herhalten
Bei der gestrigen Anhörung im Bundestag musste die GDL mal wieder als Beispiel für das Erfordernis eines Tarifeinheitsgesetzes herhalten. Ab heute wird der Personenverkehr der Bahn erneut bestreikt. Die Lokführergewerkschaft hat ihre Mitglieder für die Dauer von sechs Tagen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Endlich soll die Bahn zum Einlenken gezwungen werden.
Pendler und Reisende sind ab heute durch den längsten Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn AG stark betroffen. Nach den Erfahrungen der letzten Arbeitsniederlegungen ist davon auszugehen, dass mit den Notfahrplänen lediglich jeder dritte Fernzug fahren wird. Im Regionalverkehr dürfte sich das Zugangebot auf 15 bis 60 Prozent des regulären Kontingents reduzieren. Seit nunmehr acht Monaten streiten GDL und Bahn um einen neuen Tarifvertrag. Es ist dabei ganz offensichtlich, dass die Bahn die Verhandlungen verzögern will, bis das Tarifeinheitsgesetz in Kraft tritt und sich die GDL dem Tarifvertrag der größeren Bahngewerkschaft unterwerfen muss.
Anlässlich der gestrigen Anhörung haben sich die Experten mehrheitlich kritisch mit dem Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auseinandergesetzt. Speziell der DBB hat jede gesetzliche Regelung von Tarifeinheit aus grundsätzlichen Erwägungen strikt abgelehnt. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei verfassungsrechtlich bedenklich, gesellschaftspolitisch schädlich und handwerklich unprofessionell gemacht, erläuterte DBB-Chef Klaus Dauderstädt den Abgeordneten die ablehnende Haltung seiner Gewerkschaft.
Es gebe keinen objektiven Grund, in die Grundrechte von Arbeitnehmern einzugreifen. Der DBB befürchtet weitreichenden Schaden für die gesamte Gewerkschaftsbewegung in Deutschland. Das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung, erläuterte Dauderstädt, werfe bei der Umsetzung gleich mehrere unlösbare Probleme auf. Er sehe in dem Gesetz deshalb eher ein Risiko für die Tarifautonomie als einen Beitrag zu deren Stärkung.
Der DBB betonte in seiner Stellungnahme, dass das Grundrecht aus Artikel 9 des Grundgesetzes eindeutig ein Freiheitsrecht gewähre, das über jeder gesetzlichen Ordnungsfunktion stehe. Die Regierung unternehme jetzt den Versuch, das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit unter gesellschafts- oder wirtschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen zu stellen. Dies sei mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Zur Begründung würden 'gesamtwirtschaftliche Belange' und eine behauptete 'Entsolidarisierung' angeführt. In der Konsequenz dieses Gesetzes würde in Zukunft zahlreichen Gewerkschaften und hunderttausenden von Arbeitnehmern die Möglichkeit genommen, sich frei und selbstbestimmt um die Wahrung und Förderung ihrer Arbeitsbedingungen zu kümmern, kritisierte der DBB in seiner Stellungnahme.
Der Gesetzentwurf würde ein Zwei-Klassen-Gewerkschaftssystem manifestieren, bei dem die Gestalter die erste Klasse bilden und die Nachzeichner ohne Streikrecht die zweite Klasse bildeten. Das Mehrheitsprinzip, so der DBB,sei zudem kein grundgesetzkonformes Kriterium, da es in unzulässiger Weise die Organisationsfreiheit der Arbeitnehmer einschränke, wenn diese sich berufsspezifisch oder weltanschaulich ausgerichtet organisieren wollten. Der Koalitionsfreiheit sei aus sich heraus auch jedes Zählverfahren fremd, betonte DBB-Chef Dauderstädt,Zudem sei ungeklärt, wie die Organisationseinheit „Betrieb“ definiert werden könne. Konsequenterweise müsse der Mitgliederbestand in jeder Verwaltungseinheit gezählt werden, was den Flächentarifvertrag zerstören werde, prognostizierte der Gewerkschafter.
Die DBB-Stellungnahme verweist zudem darauf, dass freiwillige Absprachen zwischen konkurrierenden Gewerkschaften, für die es aktuell insbesondere im öffentlichen Dienst viele positive Beispiele gebe, gefährdet seien, weil nicht mehr auf Augenhöhe verhandelt werden könne. Die jeweils größere Gewerkschaft dürfte nach dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes das Interesse an einer Kooperation verlieren. Deshalb sieht Klaus Dauderstädt viele Risiken für den Betriebsfrieden und den Flächentarifvertrag. Gewerkschaften, denen das Streikrecht eingeschränkt werden solle, müssten sich folglich über eine Verschärfung der Konkurrenz zur Mehrheitsgewerkschaft profilieren, was dem Klima in den Betrieben nur abträglich sein könne, stellte der Gewerkschafter klar..
In einer ersten Bewertung stellte BSBD-Vorsitzender Peter Brock mit einiger Genugtuung fest, dass die Verfassungsexperten das Grundrecht der Koalitionsfreiheit durch den Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes in unzulässiger Weise beeinträchtigt sehen. Es bleibe zu hoffen, dass sich die Bundesregierung von dem Ergebnis der Anhörung überzeugen lassen werde und von ihrem Vorhaben Abstand nehme.
Der Gewerkschafter machte darauf aufmerksam, dass es die Bundesregierung in den zurückliegenden zehn Jahren unterlassen habe, die Zerstörung des Flächentarifvertrages durch die Arbeitgeberseite aufzuhalten. Der teilweise missbräuchliche Einsatz von Outsourcing, Leiharbeit und Werkverträgen habe dazu geführt, dass Deutschland faktisch zu einem Billiglohnland geworden sei. Jetzt aber, wo starke, kampfkräftige Spartengewerkschaften diesen Trend brechen und höhere Löhne durchsetzen könnten, sind auf einmal der Betriebsfrieden und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Gefahr. „Hier stellt sich die Bundesregierung eindeutig auf die falsche Seite, nämlich auf die der Kapitaleigner und deren Profitstreben. Dies ist nicht akzeptabel, weil die Einkommensunterschiede in der Gesellschaft schon jetzt nicht mehr zu rechtfertigen sind“, stellte Peter Brock klar.