Psychisch auffällige Inhaftierte: Abhilfe dringend geboten!
Die seit Jahren steigende Zahl der Gefangenen mit psychischen Störungen stellt für den Vollzug ein ernstes Problem dar. Die Unterbringung in Einrichtungen des Regelvollzuges ist nicht nur für den Erkrankten unwürdig, sie überfordert sichtbar auch die Kolleginnen und Kollegen, die sich dieser Aufgabe nicht entziehen können.
Die Belastungsfaktoren die den Vollzugsbediensteten zugemutet werden, dürfen mit mehr als einem gewissen Recht als unzumutbar beschrieben werden. Um die Politik zu drängen, in diesem Bereich mit dem Ausbau von Behandlungsplätzen und wirksamen Betreuungsangeboten für Abhilfe zu sorgen, haben wir dieses Thema immer wieder aufgegriffen. Für den 18. März 2020 war eine Expertenanhörung des Rechtsausschusses des NRW-Landtags vorgesehen, die allerdings wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste.
Um das Thema allerdings nicht unter den Tisch fallen zu lassen, hat der Rechtsausschuss zwar von einer Anhörung abgesehen. Er hat heute jedoch die schriftlich eingereichten Stellungnahmen der Experten ausgiebig beraten. Die Stellungnahme des BSBD finden Sie am Ende dieses Artikels.
Um für den geneigten Leser nachvollziehbar zu machen, worin die Belastungen für die Kolleginnen und Kollegen bestehen, werden wir uns von Zeit zu Zeit erlauben, die Erscheinungsformen dieser psychischen Störungen zu beschreiben. Als exemplarisch darf ein Fall gelten, der sich Anfang Februar 2020 vor dem Herforder Amtsgericht zugetragen hat.
Der Angeklagte, ein junger Marrokkaner, der aus der Jugendanstalt in Herford vorgeführt worden war, lächelte zu Beginn der Verhandlung und machte zunächst der eingesetzten Dolmetscherin einen Heiratsantrag. Für alle Beteiligten war offensichtlich, dass der Angeklagte deutlich neben der Spur lief. Er sollte sich wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung vor dem Schöffengericht verantworten.
Noch bevor der Prozess begann, war er auch schon wieder beendet. Der hinzugezogene Gutachter winkte sofort ab: „Keine Chance. Der Mann leidet an einer akuten Psychose und an Wahnvorstellungen. Er ist in diesem Zustand nicht verhandlungsfähig!“ Zunächst müsse der Angeklagte im JVK Fröndenberg medikamentös eingestellt werden, damit die Verhandlung ordnungsgemäß durchgeführt werden könne.
Das Vollzugskrankenhaus in Fröndenberg verfügt über eine psychiatrische Abteilung, die allerdings ständig überlaufen ist, so dass mit Wartelisten gearbeitet werden muss. Der Angeklagte war bereits einmal nach Fröndenberg überstellt, dort aber nicht behandelt worden. Wegen der chronischen Überlastung hatte das Krankenhaus den Patienten zurückgeschickt und vorläufig in der JVA Herford geparkt.
In Herford verursachte der Angeklagte durch seine permanenten Verhaltensauffälligkeiten einen erheblichen Arbeitsaufwand. Die Vorsitzende des Schöffengerichts zitierte aus einem Bericht der Anstalt. Danach zeige der Angeklagte dauerhaft ein stark sexualisiertes Verhalten, strecke so ziemlich jedem seinen nackten Po entgegen und fordere permanent zum Geschlechtsverkehr auf. Flankiert werde dieses Verhalten durch regelmäßige Gewaltausbrüche.
Weil niemand wisse und auch nicht einschätzen könne, wie der 21-jährige Marrokkaner reagiere, seien zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen angeordnet worden, die von der Fußfessel, über Handschellen bis zum Bauchgurt reichten. Zeitweise, so die Richterin, habe der Gefangene mit mehreren Bediensteten beaufsichtigt werden müssen.
Eine solche Situation monatelang aufrechtzuerhalten, ohne dass die Grunderkrankung substanziell angegangen und behandelt wird, bewirkt letztlich nur eines: Die Überlastung und den Verschleiß unserer Kolleginnen und Kollegen.
Beim Verlassen des Gerichtssaales, wandte sich der Angeklagte grinsend an die Dolmetscherin: „Nehmen Sie meinen Heiratsantrag an?“ Das psychisch abnorme Verhalten des jungen Marrokkaners äußerte sich in Form zahlreicher Straftatbestände. Im Jahre 2017 flüchtete der junge Mann nach Deutschland und wurde recht schnell straffällig. Wegen Raubes, Körperverletzung und Bedrohung verbüßt er derzeit eine dreieinhalbjährige Jugendstrafe.
Auch im Vollzug war er von einem Normalverhalten weit entfernt. Das Einhalten von Regeln ist nicht sein Ding. So versetzte er einer Kollegin in Wuppertal einen Kopfstoß und zündelte in der JVA Herford in seinem Haftraum.
Ein unbehandeltes Verweilen im normalen Vollzug ist deshalb so problematisch, weil sowohl der Gefangene als auch die mit ihm befassten Kolleginnen und Kollegen keinerlei Perspektive haben, dass sich die Situation in absehbarer Zeit bessern könnte. Und das ist eine Situation, die sich auf Dauer als zermürbend erweist.
Die heutige Erörterung dieser Problematik im Rechtsausschuss geht auf einen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurück. Trotzdem erwartet der BSBD, dass die Regierung relativ zeitnah die notwendigen Maßnahmen zur Ausweitung des Behandlungsangebotes und zur Kooperation mit der Forensik realisiert, damit die dringend behandlungsbedürftigen Gefangenen nicht länger im Normalvollzug aufbewahrt werden müssen, ohne dass therapeutische oder medikamentöse Behandlungen erfolgen. Die derzeitige Notlage beeinträchtigt die Würde der betroffenen Gefangenen, sie verletzt aber auch die Würde unserer Kolleginnen und Kollegen.
In Düsseldorf erklärte BSBD-Chef Ulrich Biermann nach Abschluss der Beratungen: „Der BSBD setzt darauf, dass alle Fraktionen des Landtags die Dringlichkeit des Problems erkannt haben und das die Regierungsfraktionen darüber hinaus bereit sind, auch sachgerechte Lösungen für den Vollzug zu entwickeln. Der BSBD wird das Thema solange auf der Agenda halten, bis therapeutische Interventionen bei psychisch Erkrankten sofort nach der Diagnose vorgenommen werden können.“
Friedhelm Sanker