Organisierte Kriminalität: Ist der Gesetzentwurf zur Beweislastumkehr mehr als Augenwischerei?
Deutschland ist für Kriminelle ein Schlaraffenland, weil sich Verbrechen hier besonders lohnen. In den meisten Fällen wird das durch Straftaten erbeutete Vermögen nämlich nicht eingezogen. Man muss sich nur einmal die Fakten vergegenwärtigen. Im Jahr 2013 wurden nach Auskunft des Bundeskriminalamtes 461 Millionen Euro sichergestellt, während die durch Straftaten erzielte Beute konservativ auf 40 Milliarden Euro geschätzt wurde.
Eine Sicherstellung bedeutet nämlich längst noch nicht, dass dieses Geld auch wirklich eingezogen wird. Zunächst muss der Staat den Nachweis erbringen, dass dieses Geld aus einer konkreten Straftat stammt. Diese hohen gesetzlichen Hürden siond nicht leicht zu überwinden und machen Deutschland zu einem Eldorado für kriminell erworbenes Geld und für Geldwäsche.
Seit nunmehr 20 Jahren ist die Politik bemüht, diese gesetzlichen Hürden abzubauen, indem sie eine Umkehr der Beweislast normieren will. Italien war in dieser Hinsicht Vorreiter. Dort wurde demonstriert, was gegen organisierte Kriminalität wirklich hilft, nämlich das Austrocknen der Geldströme. Aber diese riesige Schwachstelle des Rechtsstaates hat offenbar in Deutschland ein großes Beharrungsvermögen. Bis auf den heutigen Tag hat sich an der unhaltbaren Situation nichts verändert.
Die Ermittlungsbehörden konzentrieren vornehmlich darauf, Straftaten aufzuklären und anzuklagen. Die vermögensrechtliche Seite der Straftaten spielt nur eine untergeordnete Rolle, weil sich der zuständige Staatsanwalt wegen der Komplexität der Rechtsmaterie nicht zusätzlich mit einem zweiten Verfahren belasten will.
An diesem Punkt wollte die Regierungskoalition ansetzen. Im Koalitionsvertrag wurde deshalb vereinbart: „Wir regeln, dass bei Vermögen unklarer Herkunft verfassungskonform die Beweislastumkehr gilt, so dass der legale Erwerb der Vermögenswerte nachgewiesen werden muss.“
Noch im Jahre 2014 sah Innenminister Thomas de Maizière (CDU) akuten Handlungsbedarf, um der organisierten Kriminalität die Lebensgrundlage, nämlich ihre finanzielle Basis zu entziehen. Geschehen ist in den seither vergangenen Jahren nicht viel. Justizminister Heiko Maas (SPD) ist es aber immerhin gelungen, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet.
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Demokratie zureichende Rahmenbedingungen benötigt. Wo einmal – und sei auch nur vorübergehend - zivilisatorische Errungenschaften außer Kraft gesetzt werden, entstehen Brüche, die nicht leicht zu heilen sind. Daher trägt die finanzielle Begünstigung von Rechtsbrechern das Potential in sich, dass die Rechtsordnung ins Rutschen gerät und erodiert.
Bereits 1994 hatte die SPD einen Gesetzentwurf erarbeitet, ihn dann aber nicht umgesetzt, obwohl sie unter Gerhard Schröder sieben Jahre lang an der Macht war. Seinerzeit war offenbar die Agenda 2010 wichtiger als die Bekämpfung der organisierten Kriminalität
Kernstück des jetzt in der Beratung befindlichen Gesetzentwurfes ist die sogenannte Beweislastumkehr. In diesem Fall müssten Verdächtige belegen, dass sie ihr Vermögen legal erworben haben. Können sie den Beweis nicht erbringen, zieht der Staat das Vermögen ein. Eine solche Regelung wäre ein effektiver Schlag gegen die Kriminalität, wie die italienischen Erfahrungen belegen.
Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn sich gegen diese Regelung keine Bedenken erhöben. Verfassungsexperten sehen durch den Gesetzentwurf die Unschuldsvermutung und die freie Beweisführung des Gerichts beeinträchtigt. Nachdem sich die Legislaturperiode ihrem Ende zuneigt, steigen die Chancen, dass die paradiesischen Zustände für Kriminelle in Deutschland noch längere Zeit erhalten bleiben.
Bei der Erbschaftssteuer war die Bundesregierung sofort bereit, bis an die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen zu gehen, um Firmenerben steuerlich extrem zu entlasten. Im Falle der Beweislastumkehr zur Vermögensabschöpfung ist von diesem Mut nicht mehr viel geblieben. Dabei sollte sich die Politik nicht täuschen. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich nicht alles bieten lassen, dafür ist das subjektive Sicherheitsempfinden in den zurückliegenden beiden Jahren zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Wohnungseinbrüche und massenhafte Bagatelldelikte im öffentlichen Raum entfalten hier ihre unselige Wirkung.
Die Dimension des Problems wird durch eine Studie des Strafrechtlers Kai Bussmann belegt, die er für die Bundesregierung erstellt hat. Er geht davon aus, dass in Deutschlang jährlich nach konservativer Schätzung 100 Milliarden Euro aus Verbrechen stammen und in der Bundesrepublik Deutschland angelegt werden. Ursächlich sei auch der Umstand, dass in Deutschland große Bargeldbeträge angelegt werden können, was in anderen Ländern längst nicht mehr möglich ist. In der mangelnden Vermögensabschöpfung und der Ermöglichung von Geldwäsche sieht Bussmann denn auch die faktische Förderung der weltweit vernetzten organisierten Kriminalität.
Gegenüber rechtsschaffenden Menschen macht sich die Bundesregierung moralisch angreifbar, wenn ihr nicht gelingen sollte, ein effektives Gesetz zur Vermögensabschöpfung und gegen Geldwäsche zu verabschieden. Was ist eigentlich von Politikern zu halten, die lieber zwanzig Jahre zuwarten, als die Gesellschaft wirksam vor Rechtsbrechern zu schützen?
Friedhelm Sanker