Justizminister vertraut dem Grundsatz: Zahlen lügen nicht!
Zahlen sind einfach, haben scheinbar nur eine Dimension. Sie sind in der Lage, komplexe Sachverhalte in klare und einfach zu vermittelnde Botschaften zu verwandeln. Dieser Erkenntnis bedient sich auch Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) und weist die Vorwürfe des BSBD, die Vollzugseinrichtungen seien teilweise bereits in dramatischer Weise überbelegt, energisch zurück. Da fragt sich der unbefangene Bürger: Was ist denn jetzt wirklich zutreffend?
Und diese Frage stellt er sich berechtigterweise. Offenbar scheint es mehrere Wahrheiten zu geben und der Minister favorisiert verständlicherweise jene, die ihm angesichts der bevorstehenden Landtagswahl politisch die geringsten Probleme zu bereiten scheint. Diese Wahrheit beschreibt jedoch in keiner Weise die Belastungssituation der Kolleginnen und Kollegen im geschlossenen Vollzug, auf die der BSBD öffentlich aufmerksam gemacht hat.
Der Minister wird in den Medien mit der Aussage zitiert: „Die Auslastungsquote der Gefängnisse beträgt zurzeit 87 Prozent. Daraus folgt: Für jeden Gefangenen gibt es einen Haftplatz.“ Daneben werden noch einige weitere Zahlen präsentiert. Es wird eingeräumt, dass die Anzahl der Gefangenen im April 2017 auf 16.500 Gefangene angestiegen sei und dass für deren Unterbringung 17.605 belegbare Haftplätze zur Verfügung stünden. Rechnet man jetzt einmal nach, dann sind diese Haftplätze nicht zu 87 Prozent, sondern zu 93,7 Prozent belegt. Dies ist eine unbedeutende Differenz von lediglich gut 1.000 Inhaftierten.
In den Medien wird zwar darauf hingewiesen, dass der Vollzug über spezielle Abteilungen für Lebensältere, Mütter mit Kindern und für die Sozialtherapie verfügt und dass neben dem geschlossenen auch der offene Vollzug existiert. Auf einen Hinweis auf das Vorhandensein von speziellen Einrichtungen ausschließlich für Frauen und Jugendstrafgefangene wird hingegen verzichtet. Weil sich die fehlerhaft errechnete Auslastungsquote aber über die Gesamtheit der Haftplätze erstreckt, ist deren Aussagekraft gleich null. Trau keiner Zahl, die nicht erklärt wird, ist deshalb zurecht ein unumstößlicher Grundsatz der Statistiker.
Will man etwas Licht ins Dunkel bringen, muss man sich klarmachen, dass nicht alle Haftplätze für die Unterbringung aller Inhaftierten zur Verfügung stehen. Es sind Trennungsvorschriften zwischen den Geschlechtern sowie der Untersuchungs- und Strafhaft zu beachten. Im Jugendvollzug können in der Regel nur junge und im offenen Vollzug nur geeignete Gefangene untergebracht werden. Hat man sich diesen Umstand bewusst gemacht, dann steigen erste Zweifel in einem auf, ob die Belegungssituation im Vollzug mit einer fiktiven Auslastungsquote richtig beschrieben werden kann.
Die aktuelle Lage ist so, dass sowohl im Jugendvollzug und auch im offenen Vollzug jeweils mehrere Hundert nicht belegte Haftplätze vorhandenen sind. Diese Plätze können – wie vorstehend dargelegt – nicht für Gefangene des geschlossenen Vollzuges genutzt werden. Dies hat zur Konsequenz: Im geschlossenen Vollzug ballt es sich mächtig.
Wegen der Diversifizierung des Vollzuges nach Behandlungsbedürfnissen und wegen des Grundsatzes der Einzelunterbringung gelten Vollzugseinrichtungen bei einer 90-prozentigen Auslastung als voll belegt. Diese Grenze wird derzeit bereits von 16 der 22 Einrichtungen des geschlossenen Vollzuges überschritten. Acht Einrichtungen haben bereits die 100-Prozent-Marke übersprungen.
Durch diese hohe Belegung wird das Klima in den Einrichtungen negativ beeinträchtigt. Wo Menschen in Enge und Dichte zwangsweise zusammenleben müssen, erhöht sich das Konfliktpotential. Die Kolleginnen und Kollegen sehen sich deshalb vor zusätzliche Herausforderungen gestellt. Zudem treten vermehrt Aufgaben auf, die bei einer normalen Auslastung der Einrichtungen gar nicht erledigt werden müssten.
Nordrhein-Westfalen hat im Vertrauen auf sinkende Gefangenenzahlen den Grundsatz der Einzelunterbringung in seinen Vollzugsgesetzen verankert. Jetzt darf eine gemeinschaftliche Unterbringung nur noch aufgrund bestimmter Indikationen erfolgen. Eine dieser Indikationen besteht darin, dass Gefangene die gemeinsame Unterbringung beantragen können. In der Praxis führt das dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen, wenn Einzelhafträume nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen, auf die Gefangenen mit der Bitte zugehen, doch die gemeinsame Unterbringung zu beantragen. Entspricht ein Gefangener diesem Wunsch, ist jeweils eine umfängliche Verträglichkeitsprüfung vorzunehmen, um möglichen Konflikten und Übergriffen vorzubeugen. Durch diese Aufgaben, die nicht aufträten, wären ausreichende Haftplatzkapazitäten vorhanden, wird in erheblichem Umfang Arbeitskraft gebunden, die für behandlungsorientierte Interventionen zwangsläufig ausfällt.
Der Belegungsdruck ereilt den Vollzug in einer Situation, in der über 1.000 Haftplätze wegen baulicher Mängel nicht belegbar sind und die Personallücke nach Berechnungen des BSBD auf rd. 1.000 Personalstellen angewachsen ist. Die Kolleginnen und Kollegen sind folglich bis über die Belastungsgrenze hinaus gefordert. Abhilfe durch möglichst kurzfristige Maßnahmen der Politik ist geboten. Auf diese Lage hat der BSBD öffentlich aufmerksam gemacht. Dies ist seine Pflicht und seine Verantwortung im Interesse der Kolleginnen und Kollegen.
Dass der Justizminister so dünnhäutig reagiert und die Vorwürfe des BSBD mit einer inhaltsleeren Zahl zu dementieren versucht, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die Landtagswahl 2017 unmittelbar vor der Tür steht und in Kreisen der SPD vermutlich erste Zweifel aufkeimen, ob der „Schulz-Hype“ noch bis zum Wahltag tragen wird.
Friedhelm Sanker