Jugendvollzug in freien Formen: Justizminister Kutschaty beendet Modellprojekt
In Anlehnung an vergleichbare Projekte in Baden-Württemberg hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung 2009 die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, Jugendvollzug auch außerhalb staatlicher Einrichtungen vollziehen zu können. Der BSBD hat diese Form der stillschweigenden Privatisierung vollzuglicher Aufgaben nachdrücklich kritisiert. Hoheitliche Aufgaben wie die Vollstreckung von Strafen ist eine staatliche Pflichtaufgabe, die mit eigenem Personal wahrzunehmen ist.
Nachdem zu Beginn des Modellversuchs bereits erhebliche Sicherheitsstörungen zu beklagen waren, hat der Justizminister jetzt wohl endgültig die Reißleine gezogen, nachdem bekannt geworden war, dass ein Sozialpädagoge des mit dieser Aufgabe betrauten Raphaelshauses in Dormagen erhebliche Pflichtverletzungen begangen haben soll. Die Rede ist von Bordellbesuchen an Weihnachten und Kneipentouren an Silvester auf Kosten der Eltern eines Probanden. Zu allem Überfluss ist einem Probanden bei der Rückverlegung in die JVA Wuppertal-Ronsdorf auch noch die Flucht gelungen.
In einer ersten Stellungnahme hat der stv. BSBD-Landesvorsitzende Ulrich Biermann gegenüber Medienvertretern die Entscheidung von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) ausdrücklich begrüßt: „Bei den in dem Modellprojekt untergebrachten Probanden handelt es sich immer noch um Straftäter, vor denen auch die Allgemeinheit geschützt werden soll. Da ist es völlig inakzeptabel, dass Fachkräfte, die Straftätern den Weg in eine bessere Zukunft ebnen sollen, sich derart kontraproduktiv verhalten wie offensichtlich der überforderte Sozialpädagoge des Raphaelshauses. Mit diesen Vorfällen muss das Modellprojekt als gescheitert angesehen werden. Und die Landesregierung wäre gut beraten, wenn sie den Jugendstrafvollzug in freien Formen künftig mit eigenem Personal in einer eigenen Einrichtung realisieren würde.“
Beispiel an Baden-Württemberg genommen
In Baden-Württemberg war es der damalige Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll von der FDP, der nach Alternativen zum Jugendstrafvollzug suchte und erstmals den Jugendstrafvollzug in freien Formen gesetzlich regelte. Zu der Konsequenz, den gesamten Jugendstrafvollzug erzieherisch fördernd und fordernd auszugestalten, mochte er sich allerdings nicht durchringen. Vollzug durfte zwar wirksam sein, aber halt nicht zu viel kosten.
Also setzte er auf eine neoliberale Lösung und übergab den Vollzug in freien Formen einer nichtstaatlichen Organisation. In der Folgezeit gelang es dem Minister, diese Vollzugsform positiv zu vermarkten, obwohl auch hier Entweichungszahlen zu verzeichnen waren, die die Öffentlichkeit einer staatlichen Jugendstrafanstalt nicht nachgesehen hätte.
Durch die Einführung dieser Vollzugsform hat Minister Goll dem Jugendstrafvollzug mehr geschadet als genutzt. Nach den Morden in Weimar-Ichtershausen und Siegburg hätten die günstigen politischen Rahmenbedingungen genutzt werden können, um den Jugendstrafvollzug konsequent auf Erziehung und individuelle Förderung auszurichten. Diese Chance wurde vertan.
Weil Prof. Dr. Ulrich Goll ein begnadeter „Verkäufer“ war, interessierten sich bald auch andere Bundesländer für sein Projekt. So kam es, dass auch Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Modellprojekte in privatrechtlicher Trägerschaft auf den Weg brachten.
Vollzug in freien Formen gehört in staatliche Hand
Die Vorkommnisse im Dormager Raphaelshaus bieten jetzt Gelegenheit, die bisherigen Erfahrungen mit dieser Vollzugsform zu analysieren und bewerten. Der BSBD ist sich sicher, dass es durchaus einen Bedarf und eine Berechtigung für eine intensive Erziehung junger Straftäter gibt.
Bei jungen Straftätern durch eine effektive Nacherziehung, durch die Behebung schulischer und beruflicher Defizite die sich abzeichnenden kriminellen Karrieren zu beenden, ist sinnvoll und beträchtliche Anstrengungen wert, weil so unser aller Sicherheit erhöht werden kann. Unzweifelhaft handelt es sich aber auch um eine Aufgabe, für die der Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 Grundgesetz zu gelten hat. Diese staatliche Pflichtaufgabe muss das Land künftig mit eigenem Personal in eigenen Einrichtungen durchführen.