Internet-Plattform bringt gewaltsame Übergriffe im Strafvollzug ans Licht
Bei der Arbeit angepöbelt oder sogar angegriffen zu werden, gehört für viele Beschäftigte im Justizvollzug inzwischen zum Tagesgeschäft. Unser Dienstherr macht sich in dieser Hinsicht einen “schlanken Fuß“, weil er von den nicht so gravierenden, dafür aber meist massenhaft auftretenden Übergriffen gar nichts wissen will und es deshalb keine Berichtspflicht gibt.
Dabei sind es gerade diese kleinen, oft zu bewältigenden Aggressionen und Respektlosigkeiten, die den Dienst so schwierig und unangenehm machen. Diese fortschreitende Entwicklung einfach hinzunehmen, ist keine Option. Sei es nun eine Beleidigung oder auch ein tätlicher Angriff – auf der Internet-Plattform „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ kann jeder anonym von dem berichten, was ihm an inakzeptablen Ereignissen tagtäglich im Dienst widerfährt.
Beschimpft, bespuckt und krankenhausreif geprügelt! Was Justizvollzugsbeamte mittlerweile über sich ergehen lassen müssen, nur weil sie ihren Job machen, ist schockierend und alarmierend zugleich. Die Hemmschwelle, übergriffig zu werden, sinkt bei den Inhaftierten immer mehr. Die Internet-Plattform „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ auf www.angegriffen.info will hiergegen etwas tun und alle diese Übergriffe ans Tageslicht bringen. Jeder Betroffene aus dem Justizvollzug und aus allen anderen Bereichen im Öffentlichen Dienst kann dort über einen „Kummerkasten“ von seinen Erlebnissen berichten, die anschließend anonym veröffentlicht werden.
„Die Plattform ‚Gefahrenzone Öffentlicher Dienst‘ ist ein sehr gutes Mittel, um die zunehmende Gewalt gegen Strafvollzugsbedienstete öffentlich zu machen“, ist der stellvertretende Vorsitzende des BSBD OV Aachen, Kai Hildebrandt, überzeugt. Der junge Kollege aus Aachen, der auch in der Kreisjugendleitung der dbb jugend Aachen engagiert ist, lernte die Kampagne durch den Landesjugendausschuss der Deutschen Beamtenbund-Jugend NRW (dbb jugend nrw) kennen. Der gewerkschaftliche Jugenddachverband ist Initiator und Betreiber der Internet-Plattform. Seit dem Beginn der Kampagne im April 2016 wurden bereits weit über 500 Übergriffe auf Beschäftigte aus allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes dokumentiert. Kai Hildebrandt erkannte sofort den Nutzen für die Kolleginnen und Kollegen im Strafvollzug und macht die Kampagne der dbb jugend nrw hiermit im Bereich des Strafvollzuges bekannt. Sie bietet eine gute Möglichkeit, die bisherigen Versäumnisse des Dienstherrn zumindest teilweise auszugleichen, weil durch die Plattform Öffentlichkeit hergestellt wird.
Die bundesweite Kampagne, für die die dbb jugend nrw erst kürzlich in Berlin mit dem renommierten Politikaward ausgezeichnet wurde, macht deutlich, wie drängend das Problem der zunehmenden Aggression und Gewaltbereitschaft gegenüber den Kolleginnen und Kollegen des Öffentlichen Dienstes ist. Mit dieser Aktion werden die politisch Verantwortlichen nachdrücklich aufgefordert, den Schutz und die Sicherheit der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.
Damit auch die Beschäftigten im Strafvollzugdienst diese wichtige Plattform nutzen können, hat der BSBD im Vorfeld die Nutzung ausgiebig geprüft und auf der Startseite des BSBD-Internetauftritts verlinkt. Grundsätzlich kann jede Kollegin und jeder Kollege über den Kummerkasten auf www.angegriffen.info von Beleidigungen oder gewaltsamen Übergriffen berichten. Dies darf jedoch nur über den privaten Rechner erfolgen, da dienstliche Computer lediglich für den dienstlichen Gebrauch genutzt werden dürfen. Die Berichte müssen so verfasst sein, dass keine Rückschlüsse auf beteiligte Personen gezogen werden können. Bei der Berichterstattung über das Kummerkasten-Formular muss der echte Name und die eigene E-Mail-Adresse angegeben werden. Freigeschaltet wird der Text nach Prüfung durch die dbb jugend nrw und lediglich unter einem Pseudonym. Die persönlichen Details wie Name und E-Mail-Adresse tauchen bei der Veröffentlichung nicht auf und werden von der dbb jugend nrw an niemanden weitergegeben.
„Jeder Kummerkasten-Eintrag hilft dabei, den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen“, erklärt Markus Klügel, Geschäftsführer der dbb jugend nrw. Über 100.000 Mal wurde die Seite bislang schon aufgerufen und mehr als 1.100 Betroffene haben sich an verschiedenen Umfragen zur Situation im Öffentlichen Dienst beteiligt. Die Website bietet neben dem Kummerkasten auch einen Ratgeber und allgemeine Informationen rund um das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“. Auch speziell für den Strafvollzug wurden Leitlinien erarbeitet. In enger Abstimmung mit der dbb jugend nrw hat Kai Hildebrandt Handlungsempfehlungen entwickelt, die den Kolleginnen und Kollegen wertvolle Hilfestellung zum richtigen Verhalten bei Übergriffen geben sollen. Diese Handlungsempfehlungen wurden passgenau auf die besonderen Bedürfnisse der Beschäftigten im Strafvollzug abgestimmt und können in Form eines Flyers über die Landesgeschäftsstelle des BSBD NRW bezogen werden.
Auch das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen sammelt statistische Daten über gewaltsame Übergriffe auf Beschäftigte im Strafvollzug. Diese Zahlen beinhalten jedoch keine Beleidigungen, sondern geben lediglich Auskunft über direkte körperliche Übergriffe von Inhaftierten auf Bedienstete. Dabei berücksichtigen sie jedoch nur solche Vorkommnisse, in deren Folge ein Bediensteter mindestens einen Tag dienstunfähig erkrankt ist. Alle anderen Fälle tauchen in dieser ministeriellen Statistik gar nicht auf, so dass kein realistisches Bild von der vollzuglichen Wirklichkeit entstehen kann.
Zudem werden auch keine belastbaren Daten über Respektlosigkeiten und Aggressionen erhoben, die das Klima in den Vollzugseinrichtungen des Landes so maßgeblich bestimmen und beeinflussen. Um auch diese Fälle zu erfassen und Licht ins Dunkel zu bringen, ist jede Kollegin und jeder Kollege aufgerufen, sich an dieser Datenerhebung zu beteiligen. Nutzt den Kummerkasten, um von Euren Erlebnissen zu berichten! Informiert Eure Kolleginnen und Kollegen über die Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ auf www.angegriffen.info! Wenn wir alle zusammen an diesem Projekt arbeiten, haben wir die besseren Argumente und können auch unseren Dienstherrn dazu bewegen, uns einen besseren Schutz und bessere psychosoziale Unterstützung zu bieten!
Kai Hildebrandt