Brand in der JVA Kleve: Hat die „Monitor-Redaktion“ gegen „Pressekodex“ verstoßen?
In einem Bericht von Ende Januar 2020 stellte FOCUS-Online die Frage, ob Mitarbeiter des WDR womöglich versucht haben könnten, Zeugen zu beeinflussen. Die FOCUS-Online stützte diesen Vorwurf auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kleve. Es geht um den Fall des 26-jährigen Syrers Amad A., der am 17. September 2018 durch einen mutmaßlich durch ihn selbst gelegten Zellenbrand schwer verletzt wurde.
Seinen schweren Verletzungen erlag der Syrer wenige Tage später in einer Bochumer Klinik.
Nachdem klar war, dass sich die Polizei bei der Identitätsfeststellung geirrt hatte, nahm sich die „Monitor-Redaktion“ des WDR des Themas an, wohl auch deshalb, weil sich ein Mann gemeldet hatte, der zur fraglichen Zeit in der JVA Kleve inhaftiert war. Die Aussagen des Mannes hörten sich vielversprechend an. Die „Monitor-Redaktion“ vermutete offenbar, beweisen zu können, dass die Justiz unter Umständen eine Mitschuld am tragischen Tod des Syrers treffe.
FOCUS-Online fand auf der Grundlage des Untersuchungsberichts der Staatsanwaltschaft Kleve heraus, dass dieser Zeuge vor der Kamera offenbar zu Falschaussagen im Hinblick auf das Brandgeschehen in der JVA Kleve verführt worden ist. Für das Interview hatte der ehemalige Gefangene Jan-Hendrik H. 300 € vom WDR erhalten, das ist weit mehr, als der Lohnausfall für einen Arbeitstag ausmachte, den er für das Interview aufwenden musste.
Wie das Interview ablief, hat FOCUS-Online anhand staatsanwaltschaftlicher Vermerke und Vernehmungsprotokolle dokumentiert. Jan-Hendrik H. wurde demnach am 10. Dezember 2018 im Polizeipräsidium Dortmund vernommen. Vier Tage zuvor hatte „Monitor“ einen tendenziösen Bericht über den Brand in der JVA Kleve ausgestrahlt und den ehemaligen Gefangenen mit etlichen Interviewsequenzen sozusagen als Belastungszeugen präsentiert.
Zu Beginn des Beitrags behauptet Jan-Hendrik H., dass am 17. September 2018 bereits gegen 19.00 Uhr ein Tumult wegen des Brandgeschehens in Zelle 143 entstanden sei. Dies ist eine äußerst brisante Aussage, weil in diesem Falle, träfe die Einlassung zu, die Bediensteten die Hilferufe der Gefangenen gut 20 Minuten hätten ignorieren müssen. Denn erst um 19.19 Uhr betätigte Amad A. die Rufanlage und etliche Gefangene machten durch Hilferufe auf den Brand aufmerksam. Die Beamten reagierten, lokalisierten den Brandherd und holten den Verletzten um 19.23 Uhr unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit aus dem Haftraum 143.
Jan-Hendrik H. äußerte sich im Interview noch dahingehend, dass er seine Informationen von Mitgefangenen habe, die ihm anderntags in der Freistunde entsprechend unterrichtet hätten. Danach habe Amad A. früh am Fenster gestanden und um Hilfe gerufen.
In der polizeilichen Vernehmung am 10. Dezember 2018 lässt sich Jan-Hendrik H. gänzlich anders ein. Danach will er einen Tumult erst nach dem ersten Werbeblock der Sendung „Berlin Tag und Nacht“ wahrgenommen haben, also gegen 19.30 Uhr. Von den Polizeibeamten auf diese zeitliche Diskrepanz angesprochen, erklärte der ehemalige Gefangene: „Die haben die Aufnahmen immer wieder neu gemacht mit verschiedenen Formulierungen. Ich denke mal das liegt daran, dass die die ganze Zeit auf mich eingeredet haben.“
Auf die Frage des Vernehmungsbeamten, ob ihm die Antworten in den Mund gelegt worden seien, erwiderte Jan-Hendrik H.: „Ja, die haben mich mit ihren Ergebnissen konfrontiert und dann wurden die Sätze immer wieder neu formuliert und ich musste immer wieder verschiedene Sätze ins Mikrofon sprechen.“
FOCUS-Online hat der Monitor-Redaktion Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. „Monitor“ hat die sich aus den Ermittlungsergebnissen ergebenden Vorwürfe einer Manipulation der Zeitabläufe nachdrücklich zurückgewiesen. Sie besteht darauf, nur das gesendet zu haben, was wortgetreu der Aussage ihres Informanten entsprochen habe. Soweit zum Sachverhalt.
Den TV-Reportern der „Monitor-Redaktion“ muss bei Erstellung des Beitrags über den Brand in der JVA Kleve bewusst gewesen sein, dass Jan-Hendrik H., ihr Hauptbelastungszeuge, am Tag des Geschehens räumlich „weiter weg“ von Amad A. untergebracht war und selbst keine relevanten Feststellungen treffen konnte. Seine Informationen über das Ereignis vom Vortag will er von Mitgefangenen in der Freistunde erhalten haben, folglich handelt es sich um Wissen von Hörensagen. Hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes solcher Aussagen ist immer große Vorsicht geboten.
Für die Monitor-Redakteure muss es ein ziemlicher Schlag gewesen sein, als sie erkannten, über keine Originär-Quelle zu verfügen. Trotzdem wollten sie offensichtlich nicht von ihrem skandalträchtigen Beitrag lassen. Zu verlockend schien die Gelegenheit, neben der Polizei auch den Vollzug in den Skandal um Amad A. einzubeziehen. Da durfte man es mit der journalistischen Sorgfalt halt nicht ganz so genau nehmen.
Und auch die O-Töne von Oppositionspolitikern waren bezeichnend. Keine kritische Distanz, sondern allenthalben volle Überzeugung von der Richtigkeit der Rechercheergebnisse der TV-Reporter. Die Ermittlungsteilresultate des Ministeriums wurden zu dieser Zeit noch mit vielen Fragezeichen versehen.
Wenn Jan-Hendrik H. demnächst vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages aussagen wird, dann können sich die Politiker selbst einen Eindruck von der Recherchearbeit der TV-Reporter machen. Für die Zukunft sollten sie erkennen, Rechercheergebnisse der Medien zumindest so kritisch zu bewerten, wie sie es mit Ermittlungsergebnissen der Verwaltung und der Staatsanwaltschaft tun.
Bezeichnend war auch die Aussage eines Brandsachverständigen, der Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen der Staatsanwaltschaft säte. Und auch ein Frankfurter Rechtsmediziner, der in dem Beitrag zu Wort kommt, verstärkte die Skepsis gegenüber der Staatsanwaltschaft, weil er alternierende Brandursachen gar nicht erst in Erwägung zieht. Die Redaktion war vermutlich zufrieden und beruhigt. Bei so viel fundierter Expertise maß sie dem Mangel an einer originären Quelle für den tatsächlichen Zeitablauf keine besondere Bedeutung bei. Man hatte schließlich einen Zeugen, der zum Zeitpunkt des Ereignisses in der JVA Kleve inhaftiert war, und der nach vielen Wiederholungen auch noch die gewünschte Uhrzeit nannte. Das Klever Vorkommnis mutierte durch den Monitorbeitrag – wie offenbar gewünscht - zum Justizskandal.
Die Monitor-Redaktion hat sich im Laufe der Zeit durchaus Verdienste erworben, wovon zahlreiche Preise zeugen. Die Redaktion stand aber immer wieder einmal in der Kritik, Beiträge schlecht zu recherchieren oder manipulativ zu agieren. Diesem zweifelhaften Ruf hat sie mit dem Beitrag über den Brand in der JVA Kleve ein neues tendenziöses Kapitel hinzugefügt.
Obwohl die Redaktion hätte erkennen müssen, dass die Datenbasis für den Nachweis eines Justizskandals mehr als dürftig war, hielt sie daran fest, ihr vermutlich vorhandenes Vorurteil, eine pflichtvergessene Justiz könne sich am Tod eines ihrer Schutzbefohlenen mitschuldig gemacht haben, über den Sender zu bringen. Nur wenige Tage nach der Sendung stellte sich heraus, das Jan-Hendrik H., der Hauptbelastungszeuge des Fernsehmagazins, sich manipuliert fühlte und gegenüber der Polizei völlig divergierende Angaben machte. Die manipulative Einflussnahme der TV-Reporter auf einen Zeugen ist kein Kavaliersdelikt. Sie kratzt vielmehr an der Grenze zur strafrechtlichen Relevanz.
Für die Strafvollzugsbediensteten war der Monitor-Bericht ein echter Schlag ins Kontor. Die Klever Kolleginnen und Kollegen waren der Überzeugung, aus Anlass des Brandes alles getan und selbst ihre Gesundheit riskiert zu haben, um dem syrischen Migranten Amad A. das Leben zu retten. Dafür hatten sie keinen besonderen Dank erwartet, außer vielleicht die ausgesprochene Wertschätzung und Anerkennung ihrer Vorgesetzten. Keinesfalls erwartet hatten sie jedoch, durch ein Fernsehmagazin öffentlich der Mitschuld an dem Tod des Syrers bezichtigt zu werden. Das Agieren der Monitor-Redaktion in dieser Angelegenheit darf man getrost als unsäglich und infam bezeichnen.
Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit, wie sie durch den Pressekodex gefordert werden, führt in der Monitor-Redaktion augenscheinlich ein Schattendasein. Den Magazin-Verantwortlichen wäre zu wünschen, ihre bisherige Arbeitsweise kritisch zu hinterfragen und zu jenen journalistischen Grundsätzen zurückzufinden, die für ein Fernsehmagazin eines öffentlich-rechtlichen Senders selbstverständlich sein sollten.
Friedhelm Sanker
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