Generalverdacht und Beweislastumkehr: Sieht so das Vertrauen eines Dienstherrn aus?
Wenn man das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) zur Kenntnis nimmt, drängt sich dieser Eindruck unzweifelhaft auf. Berlins grüner Justizsenator Dirk Behrendt ist mächtig stolz darauf, dieses in Deutschland bislang einmalige Gesetz gegen viel Gegenwind und Widerstände durchgesetzt zu haben. Nach mehr als einjähriger Diskussion hat das Berliner Abgeordnetenhaus das von Behrendt vorgelegte Gesetz am 4. Juni 2020 verabschiedet.
Nach Expertenmeinung hält damit ein Bürokratiemonster Einzug in die Berliner Amtsstuben, weil künftig die Kolleginnen und Kollegen nachweisen sollen, nicht diskriminiert zu haben, wenn sie mit einer entsprechenden Vermutung konfrontiert werden.
Das Gesetz gilt in allen Bereichen staatlichen Handelns, wird vermutlich aber die größten Wirkungen im Strafvollzug und bei der Polizei entfalten, weil hier die konfliktträchtigsten Auseinandersetzungen mit den „Kunden“ drohen. Und gerade hier wäre es hilfreich, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen zumindest auf die Rückendeckung der Stadtregierung verlassen könnten.
Dies ist jedoch mitnichten der Fall. Justizsenator Dirk Behrendt hat offenbar ein latent vorhandenes, strukturelles Diskriminierungsproblem bei den Behörden des Landes aufgespürt, das einer bunten, weltoffenen Metropole nicht angemessen ist. Seine Freude über das neue Gesetz scheint deshalb wohl auch so grenzenlos zu sein, weil er mit seinem Gesetz Rechtsgeschichte geschrieben hat. Es ist immerhin das erste seiner Art in Deutschland.
Der Senator ist überzeugt, eine Rechtslücke geschlossen zu haben, die das künftige Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Menschen mit spezifischen Diskriminierungsmerkmalen ganz wesentlich verbessern wird. In einer Verlautbarung der Senatsverwaltung für Justiz wird das Gesetz zum antidiskriminierungsrechtlichen Schlüsselprojekt des Berliner Senats hochgejubelt.
Mit dem Gesetz wird der Katalog der Diskriminierungsmerkmale um chronische Erkrankungen und den sozialen Status erweitert, ein einzelfall- und strukturbezogenes Verbandsklagerecht eingeführt und eine Ombudsstelle eingerichtet. Ziel ist es, Betroffene darin zu stärken, Schadenersatz und Entschädigungen im Klagewege durchsetzen zu können. Der Senator ist überzeugt, dass das Gesetz einen ganz wesentlichen Beitrag leisten wird, um eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt als verbindliches Leitprinzip der Berliner Verwaltung zu verankern.
Die CDU hält das Gesetz für vollständig überflüssig, weil Diskriminierungen auch bislang bereits geahndet werden konnten. Die FDP erwägt eine Normenkontrollklage, um das Gesetz verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. Der gravierendste Unterschied zum geltenden Recht besteht darin, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Falle der Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes nunmehr ausgehebelt worden ist. Eine Diskriminierung muss nicht mehr nachgewiesen, sondern lediglich glaubhaft gemacht werden. In diesem Fall hat dann der betroffene Bedienstete nachzuweisen, dass er nicht diskriminiert hat.
Ein solches Gesetz kann nur verabschieden, wer grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Rechtstreue der Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes hegt. Speziell sind hier wohl Polizei und Strafvollzug gemeint, weil in diesen Bereichen die höchste Zahl an Konfliktsituationen anzutreffen ist.
Speziell Strafvollzug und Polizei hätten Rückendeckung erwartet, haben ihn aber nicht bekommen. Damit wird ihr Dienst seitens des Berliner Senats erschwert. Im Umgang mit Straftätern oder potenziellen Delinquenten wird mitunter eine unmissverständliche Kommunikation praktiziert. Wenn dieser Personenkreis erst einmal bemerkt hat, dass er Schadenersatzleistungen erhalten kann, wenn er sich bei der kleinsten Kleinigkeit diskriminiert fühlt, dann wird diese rechtliche Möglichkeit extensiv genutzt werden.
Die praktischen Konsequenzen sind durch die Gewerkschaften im Gesetzgebungsverfahren detailliert beklagt worden, sie wurden allerdings vom Tisch gewischt. Der „Grüne Dirk“ wollte vermutlich Rechtsgeschichte schreiben und ein wichtiges Zeichen für Antidiskriminierung setzen. Die Kolleginnen und Kollegen in diesem Zusammenhang einem Generalverdacht auszusetzen, war für ihn offenbar das kleinere Übel.
Das Berliner Stadtgebiet ist durchzogen von kriminellen Hotspots. Sollte das Gesetz dazu führen, dass Polizeibeamte sich wiederholt gegen Diskriminierungsvermutungen zur Wehr setzen müssen, dann steht zu erwarten, dass die anlasslosen Kontrollen an diesen Hotspots zahlenmäßig zurückgehen werden.
Besonders problematisch könnte die Lage werden, wenn mutmaßliche Diskriminierungen, die keine strafrechtliche Relevanz aufweisen, zu dienstrechtlichen Konsequenzen führen sollten. In diesem Fall steht zu erwarten, dass die Sicherheitskräfte sich im Dienst sehr zurücknehmen und im Zweifel Konflikte vermeiden.
In einer Zeit, in der Polizei- und Rettungskräfte sowie die Strafvollzugsbediensteten bei dienstlichen Einsätzen vermehrt verbal oder körperlich attackiert werden, diesen Sicherheitskräften noch „Diskriminierungsfesseln“ anzulegen, ist ein glatter Wahnsinn.
Wollen wir eigentlich noch kriminelle Hotspots trockenlegen und den Kampf gegen kriminelle Clans sowie die organisierte Kriminalität führen oder haben wir bereits kapituliert und raten den Bürgern, sie sollten künftig selbst für ihre Sicherheit sorgen?
Wer sich an der Sicherheitslage des Landes Berlin in dieser Weise vergeht, beschädigt auch das weitgehend konfliktfreie Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien in der deutschen Hauptstadt.
Da das Antidiskriminierungsgesetz auch für den Strafvollzug gilt, sind auch dort Konflikte und Schadenersatzforderungen zu erwarten. Justizsenator Behrendt erwartet zwar nicht viele zusätzliche Verfahren. Es ist allerdings zu befürchten, dass seine optimistische Einschätzung von der Realität schnell widerlegt werden wird.
Mit dem Gesetz hat Berlin dem gesamten öffentlichen Dienst das Misstrauen ausgesprochen und ihn unter Generalverdacht gestellt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was öffentlich Beschäftigte von ihrem Dienstherrn erwarten dürfen. Und als wäre das nicht bereits genug, kommt auch noch die Beweislastumkehr hinzu. Künftig muss ein bezichtigter Bediensteter seine Unschuld nachweisen.
Wer erinnert sich nach wenigen Tagen noch an eine konfliktbehaftete Begebenheit in allen Einzelheiten. Im Strafvollzug und im Polizeieinsatz ist das so gut wie ausgeschlossen. Wahrscheinlich hilft nur noch, dass alle Kolleginnen und Kollegen mit Bodycams rumrennen, um nachweisen zu können, dass sie sich korrekt verhalten haben.
Strafvollzugsbedienstete machen im Dienst die leidvolle Erfahrung, mitunter von ein oder mehreren Gefangenen wahrheitswidrig des pflichtwidrigen Verhaltens bezichtigt zu werden. Und es kostet jedes Mal erhebliche Mühe, die Vorwürfe zu entkräften. Diese Situation erhält durch das Antidiskriminierungsgesetz noch einmal einen richtigen Schub.
Als Nordrhein-Westfale könnte man meinen, Berlin ist weit weg, was kratzen mich deren Regelungen? Immerhin haben wir den Föderalismus auch deshalb, um in unserem Land Vernunft walten zu lassen.
Ganz so einfach ist es leider nicht. Die Polizeibeamten, die Berlin bei der Durchführung von jährlich 5.000 Großveranstaltungen unterstützen, haben das Gesetz auch zu beachten. Der Bund und mehrere Bundesländer haben deshalb bereits verlautbart, keine Polizeikräfte mehr nach Berlin entsenden zu wollen, wenn diese dort einem erhöhten Verfolgungsdruck ausgesetzt sind.
Die Parteien von SPD, „Bündnis ‚90/Die Grünen“ und „Die Linke“ sind von ihrem Gesetz vollkommen überzeugt. Sie werden auch in anderen Bundesländern, so es in ihrer Macht steht, vergleichbare Gesetzesinitiativen starten. Folglich gilt es, den Anfängen zu wehren. Für den „Grünen Dirk“, gemeint ist Justizsenator Dirk Behrendt, wäre es mehr als eine Genugtuung, wenn andere Bundesländer seinen verschrobenen und den öffentlichen Dienst diskriminierenden Vorstellungen folgen würden.
Wir müssen wachsam bleiben, damit uns die Politik nicht mit ähnlichen Vorstellungen das Misstrauen ausspricht. Das Grundgesetz und das Gleichbehandlungsgesetz regeln das Diskriminierungsverbot und damit muss es dann auch gut sein.
Friedhelm Sanker