Die Bertelsmann-Stiftung: Ein schlechter Ratgeber für Notlagen?
In der Vergangenheit ist die Bertelsmann-Stiftung immer wieder mit kontroversen Studienergebnissen an die Öffentlichkeit getreten. Zuletzt hatte der BSBD die Stiftung vehement kritisiert, weil diese der Politik vorgeschlagen hat, das bewährte System der Beihilfen im Krankheitsfall zu liquidieren. Im Juli 2019 hatte die Stiftung eine Studie vorgelegt, die die Schließung von rd. 800 Krankenhäusern empfahl, weil nur so ausreichend Personal für die verbleibenden Einrichtungen rekrutiert und der Abbau der Überversorgung bewirkt werden könne. In der derzeitigen Corona-Krise wirkt gerade diese Forderung wie aus der Zeit gefallen.
Trotzdem hält die Stiftung ihre Studie und deren Ergebnisse immer noch für richtig. Dies geht aus einem aktuellen Zusatz auf der Internetseite der Stiftung hervor. Dort wird u.a. ausgeführt: „Im Sinne der Versorgungsqualität sollten die schwierigen Fälle in spezialisierten Kliniken von erfahrenem Personal in eingespielten Prozessen behandelt werden – wie es aktuell in der Corona-Pandemie erforderlich ist. Bei der Gestaltung der Versorgungsstrukturen sollten außergewöhnliche Ereignisse einbezogen werden.“
Erstaunlich ist auch die Erkenntnis der „Bertelsmänner“, dass man aus einer unvorhersehbaren Krise, in der Wissenschaft und Politik auf Sicht führen, keine grundlegenden Schlussfolgerungen für die künftige Krankenhausstruktur ableiten könne. Vor neun Monaten traten die Autoren der Bertelsmann-Studie noch ganz anders auf. Schließlich schlugen sie der Politik vor, 800 der insgesamt 1.400 Krankenhäuser in Deutschland zu schließen. Die verbleibenden Einrichtungen sollten offenbar ausreichend sein, um alle denkbaren Gesundheitskrisen bewältigen zu können.
Wäre diesem Vorschlag gefolgt worden, stünden wir in der gegenwärtigen Corona-Krise vor einem Desaster. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) macht darauf aufmerksam, dass wir gegenwärtig in ganz besonderer Weise auf die kleineren Häuser angewiesen seien. „Die derzeitige Krise zeigt, wie existenziell die vorhandenen Kapazitäten im Krankenhausbereich sind. Auch die kleineren Häuser leisten einen maßgeblichen Anteil zur Versorgung, denn rund drei Viertel der Corona-Patienten werden außerhalb der Intensivstationen versorgt“, sagte DKG-Präsident Gerald Gaß der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
In Deutschland haben 840 Krankenhäuser weniger als 200 Betten. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes verfügen diese Kliniken über 3.800 oder 14 Prozent aller Intensivbetten. Im Vergleich zur Krankenhausstruktur in Italien und Spanien und der dortigen Sterblichkeitsrate bei den Corona-Infizierten scheint Deutschland von dieser Dichte der Intensivbehandlungsmöglichkeiten zu profitieren. Auf 100.000 Einwohner hält Deutschland 33,9 Intensivbetten vor. Im internationalen Vergleich ist dies ein absoluter Spitzenwert.
In Düsseldorf hat sich NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erfreulich deutlich positioniert und darauf hingewiesen, dass die Corona-Epidemie eines mit aller der Deutlichkeit gezeigt habe, dass nämlich künftig der Krankenhausbereich weiter gestärkt werden müsse. Die Krankenhauslandschaft, so der Minister, habe sich an einer guten medizinischen Versorgung und nicht an ökonomischen Überlegungen zu orientieren.
Diese neuerliche Fehlleistung wirft die Frage auf, welchen Interessen die Stiftung vorrangig verpflichtet ist. Gegründet wurde die Stiftung 1977 von Reinhard Mohn. Gesellschafts- und unternehmenspolitische Motive sowie steuerliche Gründe sollen dabei eine Rolle gespielt haben. Seit 1993 hält die Bertelsmann-Stiftung die Mehrheit der Anteile am Bertelsmannkonzern und verfügt damit über erhebliche Geldmittel. Damit dürfte die Eingangsfrage auch eine Antwort gefunden haben.
Das bisherige Wirken der Stiftung wird von vielen Akteuren kritisch gesehen. Der Stiftung wird vorgeworfen, ohne demokratische Legitimation politisch Einfluss zu nehmen. So betreibe die Stiftung das Prinzip der wechselseitigen Instrumentalisierung. Hohe Beamte und Politiker erhielten einen geschützten Raum, in dem sie kostenlos und exklusiv informiert würden, die Bertelsmann-Stiftung erhielte im Gegenzug Zugang zu allen politischen Projekten und könne entsprechend Einfluss ausüben. Nach Einschätzung von Lobbycontrol verfolgt die Stiftung eine überwiegend neoliberale Agenda.
Bereits 2012 haben Virologen und Epidemiologen vor einer Pandemie gewarnt, wie wir sie derzeit erleben. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hatte damals bereits für eine bessere Prävention vor einer Viruspandemie geworben, wurde aber nicht erhört.
Die Ökonomisierung des Medizin- und Pflegebereichs war gerade im vollen Gange. Alles wurde unter Effizienzgesichtspunkten auf den Prüfstand gestellt. Die Mahner des Bundesamtes störten da nur. In der Medizin und der Pflege sollte das Lean Management der Wirtschaft Einzug halten. Es wurden schlanke Strukturen angestrebt und Profit sollte auch noch gemacht werden. Deshalb haben wir in den letzten Jahren die Arztstellen um über fünfzig Prozent aufgestockt, denn die bringen Geld, und die Pflegestellen um siebzehn Prozent reduziert, denn die verursachen nur Kosten.
Jetzt stehen wir auch deshalb vor den Trümmern einer verfehlten Bedarfsplanung, weil die Politik viel zu lange auf die Expertise von Organisationen wie der Bertelsmann-Stiftung hört.
Immer wenn der Name der Stiftung ins Spiel kommt, sollten bei den Angehörigen des öffentlichen Dienstes, des Gesundheits- und des Versicherungswesens alle Alarmsirenen schrillen. Die Bertelsmann-Stiftung verfolgt weiter eine neoliberale Agenda und hat damit auch Erfolg. Schließlich gehen auch die Hartz-Reformen, unter deren Auswirkungen die Sozialdemokratie noch immer so nachhaltig zu leiden hat, auf Vorschläge der Stiftung aus dem Jahre 2002 zurück.
Friedhelm Sanker