Anhörung des Unterausschusses Personal: Delegation des BSBD NRW kämpft für Attraktivitätssteigerungen
Das Haushaltsgesetz 2023 befindet sich gegenwärtig in der Phase der finalen parlamentarischen Beratungen. Die Landtagsausschüsse sind damit befasst, ihre Stellungnahmen für den Haushalts- und Finanzausschuss abzufassen. Ihre fachliche Expertise sichern sie regelmäßig durch die Anhörung von Experten und Betroffenen ab.
Diese Anhörungen sind für den BSBD NRW regelmäßig formale Gelegenheiten, den Parlamentariern die Situation und den Personalbedarf des Vollzuges eindringlich näherzubringen. Am 15. November 2022 war es wieder so weit. Ulrich Biermann, Birgit Westhoff und Detlef Plömacher erläuterten den Abgeordneten, wo es im Vollzug aktuell hakt.
Angesichts der aktuellen Lage, die durch eine galoppierende Inflation, explosionsartig steigende Energiekosten und erheblich anwachsende Aufwendungen für die Unterbringung einer großen Zahl von Kriegsflüchtlingen und Asylsuchenden geprägt ist, nutzte die Delegation des BSBD NRW die Anhörung, um den Parlamentariern einen umfassenden Blick auf die Verhältnisse im NRW-Justizvollzug zu erschließen.
Ulrich Biermann verwies darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen des Vollzuges in den zurückliegenden Jahren Kaufkraftverluste ohne einen entsprechenden finanziellen Ausgleich hätten hinnehmen müssen. Damit sei eine auskömmliche Finanzierung des Lebensunterhaltes nur noch eingeschränkt möglich. Dabei, so Biermann, habe sich die schwarz-gelbe Vorgängerregierung doch die Steigerung der Attraktivität des gesamten öffentlichen Dienstes auf die Fahnen geschrieben gehabt. Über das Stadium eines ambitionierten Wollens seien diese Absichten leider nicht hinausgekommen.
Biermann: „Wir stehen aktuell schlechter da als zu Beginn des beabsichtigten Reformprozesses. Ein weiteres Zuwarten ist jetzt nicht mehr möglich, soll nicht die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und speziell des Strafvollzuges riskiert werden. Im Vollzug tritt hinzu, dass wir uns von der Attraktivitätsoffensive erhofft hatten, vakante Stellen mit geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern besetzen zu können. Diese Hoffnung hat leider getrogen. Gelingt es dauerhaft nicht, die freien Stellen mit geeigneten Nachwuchskräften zu besetzen, kann eine Entlastung des vorhandenen Personals nicht erfolgen, obwohl es bereits aktuell jenseits der Belastungsgrenze arbeitet. Die negativen Folgen einer solchen Entwicklung für Arbeitsqualität und Motivation mag sich jeder ausmalen.“
Die BSBD-Vertreter betonten, dass der Landtag gerade die Vollzugsgesetze novelliert habe. Die dadurch bewirkte Modernisierung und teilweise Neuausrichtung des Behandlungsvollzuges müsse nun personell unterfüttert werden, wenn der Reformprozess mit Leben erfüllt werden solle. Speziell für Straftäter mit extremen, radikalen Einstellungen müssten spezifische Therapiekonzepte entwickelt werden. Diese Arbeit sei personalintensiv und könne nur geleistet werden, wenn Fachpersonal im erforderlichen Umfang verfügbar sei.
Die Vertreter der Landesleitung empfahlen den Abgeordneten, den eingeleiteten Reformprozess weiter zu verfolgen und nicht versanden zu lassen. Dabei komme es neben der personellen Ausstattung ganz besonders auf die strukturelle Weiterentwicklung der Laufbahnen des Justizvollzuges in Nordrhein-Westfalen an. Mit einen vernünftig geschnürten Strukturpaket könne außerhalb der Einkommensrunden einiges bewirkt werden, um die unter schwierigsten Bedingungen erbrachten dienstlichen Leistungen der Kolleginnen und Kollegen angemessen wertzuschätzen.
Die Vertreter der Landesleitung trugen im Einzelnen vor:
Der BSBD NRW hält die Einführung einer vollzugsspezifischen Meisterzulage für Angehörige des Werkdienstes in Höhe von 250,00 €/Monat für zwingend geboten, um die spezifischen Anforderungen der Laufbahn zu honorieren und um die Aufwendungen zur Finanzierung der als Laufbahnvoraussetzung geforderten Meisterprüfung einigermaßen auszugleichen.
Gerade vor dem Hintergrund des alarmierenden Mangels an geeigneten Bewerbern sei Handlungsbedarf gegeben. Die im Jahre 2019 für verbeamtete Kräfte im Krankenpflegedienst eingeführte „Pflegedienstzulage“ sei ein Signal, das aufgegriffen werden müsse, stellten die BSBD-Vertreter klar. Bei Heranziehung des Europäischen- und Deutschen Qualifikationsrahmen (EQR bzw. DQR) sei die Meisterqualifikation unstreitig als der höhere Berufsabschluss anzusehen.
Auch bei den Aufstiegsperspektiven bestehe Handlungsbedarf, schließlich seien entsprechende Kräfte in anderen Bereichen der Landesverwaltung bereits der Laufbahngruppe 2.1 zugeordnet.
Durch die verstärkte Konzentration auf berufsqualifizierende Ausbildungsmaßnahmen für Inhaftierte würden Anforderungen gestellt, die eine zusätzliche Förderung notwendig machten. Bislang, so die Einschätzung der BSBD-Vertreter, fühlten sich die Laufbahnangehörigen nicht ausreichend wertgeschätzt. Mit einer Meisterzulage in Höhe von monatlich 250 Euro könne ein Zeichen gesetzt werden.
Die Laufbahn des Verwaltungsdienstes der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt (vorm. mittlerer Verwaltungsdienst), erläuterten die BSBD-Vertreter, umfasse derzeit „nur noch“ etwa 275 Bedienstete und sei in den zurückliegenden Jahren deutlich reduziert worden. Jetzt sei es an der Zeit gegenzusteuern. Immerhin handele es sich um spezifisch für den Vollzug ausgebildete Kolleginnen und Kollegen, die für den Behandlungsvollzug des Landes ein unverzichtbares administratives Bindeglied darstellten. Die Erfassung, Aufbereitung und Pflege aller in einer Vollzugseinrichtung relevanten Daten erfolge ausschließlich durch diese Berufsgruppe. Ohne die Bereitstellung dieser Daten sei ein moderner Behandlungsvollzug nicht realisierbar.
Die Reduzierung der Zahl der Laufbahnangehörigen habe zudem zum Wegfall vieler Beförderungsstellen geführt. Es sei endlich an der Zeit, das Ruder herumzureißen. Schließlich seien die Laufbahnangehörigen unverzichtbar, wenn die weitere Digitalisierung des Vollzuges gelingen solle.
Der BSBD-Vorsitzende Ulrich Biermann machte darauf aufmerksam, dass die Besoldungsstrukturen der Laufbahn seit Jahrzehnten an keinen strukturellen Fortentwicklungen teilgenommen hätten. In der Laufbahn bestehe daher ein unabweisbarer Nachholbedarf. Der Mangel an ausgebildeten und insoweit multifunktional verwendbaren Kräften sei unübersehbar.
In der Vergangenheit sei auf angelernte Beschäftigte zurückgegriffen worden. Dies habe sich als Notlösung erwiesen. Speziell in allen Funktionsbereichen des Vollzuges ausgebildetes Personal sei erforderlich, um die Digitalisierung weiter voranzutreiben und um Probleme bei Urlaubs-, Krankheits- und sonstigen Vertretungen dauerhaft zu vermeiden.
Dem vormaligen gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienst werden im Gegensatz zu früher mehr und mehr Management– und Führungsaufgaben übertragen. Die Laufbahnangehörigen verfügen über eine fundierte Fachhochschulausbildung. Notwendige Verbesserungen der Berufsperspektiven sind bislang bedauerlicherweise ausgeblieben.
Andere Bereiche der Landesverwaltung haben dieses Missverhältnis längst erkannt und nutzen es, um durch Übernahmen einen Teil ihres eigenen Nachwuchsbedarfs zu befriedigen. Schließlich kann hier mit geringem finanziellen Aufwand ein vorzüglich ausgebildeter Fachkräftepool für eigene Bedürfnisse erschlossen werden.
Der Vollzug aber, der die Kosten der Ausbildung getragen hat, läuft permanent Gefahr, einen Teil seiner Nachwuchskräfte zu verlieren. Dabei ist der Vollzug wegen ihres weiten Verwendungsspektrums auf diese Kolleginnen und Kollegen zwingend angewiesen, zumal nicht über den eigentlichen Bedarf hinaus ausgebildet wird.
Es kann nicht im Interesse des Vollzuges liegen, aufwändig ausgebildete und vollzugsrechtlich spezialisierte Kräfte an andere Landesverwaltungen zu verlieren. Nach Auffassung des BSBD NRW ist es deshalb dringend geboten, kalkulierbare Berufsperspektiven für die Kolleginnen und Kollegen zu schaffen. Diese Einschätzungen vermittelten die BSBD-Vertreter den Parlamentariern und forderten gleichzeitig dazu auf, dem Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung Geltung zu verschaffen.
Die BSBD-Delegation sprach sich dafür aus, den laufbahnspezifischen Besonderheiten durch Anhebung des Eingangsamtes nach Besoldungsgruppe A 10 Rechnung zu tragen. Bereits 1975 sei diese Forderung in Teilbereichen bereits realisiert gewesen, wenig später aber wieder kassiert worden. Seinerzeit sei es noch möglich gewesen, Besoldungspolitik nach Kassenlage zu betreiben. Jetzt, so die BSBD-Vertreter, verbiete sich eine solche Vorgehensweise, weil die Demografie dazu zwinge, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen. Andernfalls werde es künftig kaum mehr möglich sein, den erforderlichen Ersatzbedarf für die Laufbahn zu rekrutieren.
In Angleichung an die für andere Laufbahnen der Fachrichtung Vollzug (allgemeiner Vollzugs- und Werkdienst) bereits erreichte Durchlässigkeit der bislang recht starren Laufbahnstrukturen benötige die Laufbahn des Vollzugs- und Verwaltungsdienstes der Laufbahngruppe 2, erstes Einstiegsamt, eine vergleichbare Struktur. Die Überleitung der Spitzenämter in die nächsthöhere Laufbahngruppe müsse nunmehr ermöglicht werden, stellten die BSBD-Vertreter klar.
Wegen der vollzugsspezifischen Qualifizierung der Laufbahnangehörigen sah es die BSBD-Delegation als angemessen an, den Leistungsträgern der Laufbahn den Aufstieg in die Laufbahn des Vollzugs- und Verwaltungsdienst der Laufbahngruppe 2, zweites Einstiegsamt, generell zu ermöglichen, um ihnen bei nachgewiesener Kompetenz und Führungsfähigkeit auch Leitungsaufgaben zu übertragen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Laufbahn, die Führungsverantwortung in Vollzugs- oder Verwaltungsabteilung übernähmen, sollten mindestens aus einem Amt der Besoldungsgruppe A 12 besoldet werden.
Vergleichbare Strukturen sind, wie BSBD-Chef Ulrich Biermann vortrug, für die Laufbahn des Sozialdienstes bei Justizvollzugsanstalten vorzusehen. Hier würden vergleichbare Aufgaben wahrgenommen. Zudem hätten diese Kolleginnen und Kollegen die individualisierten Behandlungskonzepte umzusetzen und Konzepte für spezielle Personengruppen mit erhöhtem Behandlungsbedarf zu entwickeln.
Der öffentliche Dienst steht grundsätzlich im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft um qualifizierte Berufseinsteiger. Gerade am Beispiel der Laufbahngruppe 2, zweites Einstiegsamt (vormals höherer Vollzugs- und Verwaltungsdienst), wird deutlich, dass der Bereich der juristischen Berufe im Strafvollzug einen „Exotenstatus“ genießt. Aufgrund der fehlenden Informationen und Vorkenntnisse über das Berufsbild eines Juristen/einer Juristin im Strafvollzug ist das Interesse von Berufseinsteigern für den Strafvollzug zunächst gering. Um qualifizierte und geeignete Bewerber zu gewinnen, ist darauf zu achten, dass die Attraktivität der Laufbahn gegenüber den klassischen juristischen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst als Richter oder Staatsanwalt oder in der freien Wirtschaft nicht nur gewahrt bleibt, sondern nachhaltig gefördert wird.
Im Rahmen der Anhörung machten die BSBD-Sprecher darauf aufmerksam, dass sich selbst die Personalakquise im Bereich des richterlichen Dienstes aktuell nicht unbedingt auskömmlich gestaltet. Großkanzleien böten derzeit deutlich höhere Einstiegsgehälter als der öffentliche Dienst. In dieser Hinsicht muss der öffentliche Dienst trotz der schwierigen Haushaltslage gegenhalten. Er dürfe zumindest nicht gravierend abfallen, wenn geeigneter Nachwuchs künftig für die Laufbahn interessiert werden solle.
Die Besoldung der Spitzenfunktionen im Justizvollzug entspricht derzeit weder dem Maß der übertragenen Verantwortung noch dem Aufgabenzuschnitt. Behördenleitung mit Budgetverantwortung, Verantwortung für Sicherheitsstörungen oder Lockerungsmissbräuche und deren Darstellung in der Öffentlichkeit stellen hohe Anforderungen an Persönlichkeit und Qualifikation. Die Besoldung sollte folglich aufgaben- und leistungsangemessen ausgestaltet werden, damit auch geeignete Interessenten aus dem Bereich der Staatsanwaltschaften oder des richterlichen Dienstes für einen Wechsel in den Bereich des Justizvollzuges gewonnen werden können.
Zudem zeigt sich bereits seit geraumer Zeit, dass es zunehmend schwieriger wird, Bewerber für die Leitung von großen Justizvollzugsanstalten zu gewinnen, weil die Besoldungszuwächse dem Grad an zusätzlicher Verantwortung und Belastung nur noch unzureichend entsprechen.
Die BSBD-Delegation erläuterte deshalb, dass die Frage einer angemessenen Besoldung von entscheidender Bedeutung sei. Die bisherige Beschränkung der Besoldung der Spitzenfunktionen im Justizvollzug auf die Besoldungsgruppen A 16 und A 16 mit Amtszulage entspreche nicht mehr dem Aufgabenzuschnitt und auch nicht mehr dem Maß der übertragenen Verantwortung im Bereich der Behördenleitungen.
Der BSBD präferiert nach den Ausführungen von Gewerkschaftschef Ulrich Biermann eine Bewertung anhand der Zahl der jeweils unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als den wesentlichen Indikator für die Zuordnung zu dem jeweils zu übertragenden Amt.
Da die Spitzenämter ausschlaggebend für den Aufbau der gesamten Besoldungsstruktur im Bereich des Vollzuges seien, hält der BSBD die folgende Zuordnung nach Aussage Biermanns für geboten:
- Besoldungsgruppe A 16 für Leiter von JVAen mit einem zugewiesenen Kontingent von bis zu 250 Personalstellen
- Besoldungsgruppe A 16 mit Amtszulage für Leiter von Justizvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von bis zu 300 Personalstellen
- Besoldungsgruppe B 3 für Leiter von Justizvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von bis zu 400 Personalstellen
- Besoldungsgruppe B 4 für Leiter von Justizvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von über 400 Personalstellen
- Besoldungsgruppe A 16 für Leiter von Jugendvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von bis zu 100 Personalstellen
- Besoldungsgruppe A 16 mit Amtszulage für Leiter von Jugendvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von bis zu 200 Personalstellen und
- Besoldungsgruppe B 3 für Leiter von Jugendvollzugsanstalten mit einem zugewiesenen Kontingent von über 200 Personalstellen.
Die Arbeitszufriedenheit und die Identifizierung mit der beruflichen Aufgabe steht und fällt damit, dass die Arbeitgeberseite ihrerseits kalkulier- und damit planbare Karriereaussichten anbietet. Leider ist dieser Zustand im Vollzug längst nicht erreicht, so dass erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Anlässlich der Anhörung brachte die BSBD-Delegation zum Ausdruck, dass es nunmehr an der Zeit sei, die seit längerem seitens der Landesregierung postulierte Attraktivitätsoffensive tatsächlich in Angriff zu nehmen.
Die Zeit der Beschwichtigungen müsse jetzt enden. Auch wenn nicht alle Maßnahmen unmittelbar realisiert werden könnten, so müssten für die Kolleginnen und Kollegen doch erste Schritte zur Verbesserung der aktuellen Situation erkennbar werden. Andernfalls laufe die Landesregierung Gefahr, dass die beabsichtigten Attraktivitätssteigerungen versandeten.
Noch immer, so die BSBD-Vertreter, leide der öffentliche Dienst unter den zahlreiche Sparmaßnahmen der Vergangenheit. Die Besoldung sei viel zu oft zur Konsolidierung des Landeshaushalts genutzt worden.
Es sei jetzt an der Zeit, die Attraktivität der Besoldungsbereiche speziell in den vernachlässigten Bereichen deutlich zu steigern. Nur so wird das Land nach Ansicht des BSBD in die Lage versetzt, künftig in ausreichenden Umfang das erforderliche Personal gerade für den Bereich des Vollzuges zu gewinnen. Zudem sei Eile geboten, weil sonst Ersatzpersonal in ausreichendem Umfang kaum noch gefunden werden könne. Strukturelle Verbesserungen seien daher zwingend vorzunehmen, um die Zukunftsfähigkeit des Strafvollzuges zu sichern, ermunterten die BSBD-Vertreter die Parlamentarier zum Handeln.
Friedhelm Sanker