Altersversorgung: BILD forciert die Neidkampagne
Vor Wochenfrist hatte BILD die Neiddebatte eröffnet mit der Feststellung, dass die Kosten der Beamtenpensionen explodierten. Heute legt BILD nach. Unter der Überschrift „So ungerecht sind Renten im Vergleich zu Pensionen“ wird die Neidkampagne nochmals angefacht.
In einer tabellarischen Übersicht wird u.a. das Ruhegehalt eines Staatssekretärs mit den Altersbezügen eines Durchschnittsrentners verglichen und festgestellt, dass ein Durchschnittsrentner 311 Jahre arbeiten müsste, um einen vergleichbaren Anspruch zu erwerben. Ist so ein Vergleich redlich? Nein, natürlich ist er es nicht. Hier soll augenscheinlich ein Keil zwischen die abhängig Beschäftigten getrieben werden. Einen Staatssekretär könnte man allenfalls mit dem angestellten Vorstand eines großen mittelständischen Unternehmens vergleichen und der dürfte mit Rente und betrieblicher Altersversorgung auch deutlich höhere Altersbezüge erhalten als ein Durchschnittsrentner. Wieder einmal vergleicht BILD Äpfel mit Birnen, um Emotionen zu schüren. Mit Fug und Recht darf vermutet werden, dass hier abermals tendenziöser Journalismus am Werk war.
Dabei befasst sich BILD durchaus mit dem richtigen Thema, stellt aber nicht die richtigen Fragen. Anstatt Neid und Missgunst in die Mitte der Arbeitnehmerschaft zu tragen, sollte BILD mal danach fragen, weshalb es uns nicht gelingt, eine vernünftige Alterssicherung zu organisieren, obwohl der Staat seinen arbeitenden Bürgerinnen und Bürgern doch die Hälfte ihres Bruttoeinkommens abnimmt.
Der Steuerzahlerbund verkündet dieser Tage wieder, dass die Arbeitnehmer bis Mitte Juli ausschließlich für den Staat gearbeitet haben werden und weniger als die Hälfte ihrer Jahresbezüge bleibt, um eigene Wünsche und Bedürfnisse zu bestreiten. Im Gegensatz zu Vermögenserträgen greift der Fiskus bei der nicht selbständig arbeitenden Bevölkerung überproportional zu. Die OECD hat in einem internationalen Vergleich der Industriestaaten abermals festgestellt, dass die Bundesrepublik eine Sptizenstellung bei der Steuer- und Abgabenlast einnimmt. Während der deutsche Staat die Hälfte des Arbeitseinkommens beansprucht, kommen vergleichbare Staaten mit rd. einem Drittel des Gehalts ihrer Bürgerinnen und Bürger aus.
Liegt das daran, dass wir mit der Flüchtlingskrise hohe soziale Kosten übernommen haben? Liegt es daran, dass wir mit Abstand der größte Nettozahler des EU-Haushalts sind? Oder liegt es daran, dass wir, weil wir uns immer noch als reiches Land betrachten, Konflikte gerne mit dem Scheckheft lösen?
Nach der Pandemie sind die Kassen des Staates leer. Um die Kosten der Ausgleichs zahlungen zu tragen, wird jetzt Ausschau gehalten, welche Gruppen sich hier anbieten. Ganz schnell machten Politiker den öffentlichen Dienst als einen Bereich aus, in dem noch Sparpotenzial vorhanden sein könnte. Gleichermaßen wohlfeil war der Vorschlag, die Menschen könnten angesichts steigender Lebenserwartung doch auch länger arbeiten.
Meist kommen solche Vorschläge von Personen, die selbst sicher und bequem vor ihrem Rechner hocken und hart arbeitenden Menschen erklären wollen, dass sie doch, bitte schön, etwas mehr für die Gemeinschaft tun könnten. Die Steigerung der Lebenserwartung ist nämlich höchst ungleichmäßig verteilt. Handwerker und körperlich stark beanspruchte Arbeitnehmer erreichen oftmals die durchschnittliche Lebenserwartung gar nicht. Und diesen Menschen wollen wir zumuten, von der Berufsaufnahme bis zum quasi letzten Atemzug zu arbeiten? Solche Überlegungen können sich nur Politiker einfallen lassen, die sich ihren ideologischen Überzeugungen mehr verpflichtet fühlen als dem Wohlergeben der ihnen anvertrauten Menschen in unserem Land.
Wir sollten deshalb einen Blick über die Grenzen wagen, was Rentnern in unseren Nachbarländern an Altersbezügen zusteht und wie lange sie dafür arbeiten müssen. In Deutschland ist es so, dass ein Arbeitnehmer nach 39,1 Versicherungsjahren in der Rentenversicherung mit 51,9 Prozent seines letzten Lohns rechnen darf.
Vergleichen wir diese Zahlen einmal mit Spanien, Italien und Frankreich, dann stellen wir Erstaunliches fest. In Spanien beträgt die Rente bereits nach 35,3 Arbeitsjahren 83,4 Prozent des letzten Arbeitseinkommens. In Italien muss ein Arbeitnehmer durchschnittlich 32 Jahre arbeiten, um 91,8 Prozent des letztren Gehalts als Rente zu erhalten. In Frankreich beträgt die Rente nach durchschnittlich 35,4 Arbeitjahren 73,6 Prozent des letzen Lohns.
Und weil unsere Nachbarn weniger arbeiten als die Deutschen erhalten sie ihre hohen Renten auch noch deutlich länger. Die Bezugsdauer beträgt in Deutschland durchschnittlich 17 Jahre, in Spanien 17,9 Jahre, in Italien 22,8 Jahre und in Frankreich 21,7 Jahre.
Deutschland mag insgesamt immer noch ein reiches Land sein, doch ist dieser Reichtum in den zurückliegenden Jahrzehnten an der arbeitenden Bevölkerung konsequent vorübergegangen. Folglich sollten wir bei der Bundestagswahl jene Parteien wählen, die uns nicht schon wieder in die Tasche greifen wollen, um ihre speziellen Vorhaben realisieren zu können. Die Sommerferien bieten uns die Chance, uns doch einmal mit den Wahlprogrammen der Parteien zu befassen. Dann können wir nämlich unsere eigenen Interessen zum Maßstab unserer Wahlentscheidung machen.
Die Pandemie hat die Wirtschaft der europäischen Staaten massiv getroffen. Die Europäische Union hat deshalb ein Hilfsgramm über 750 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Während 360 Milliarden Euro als Kredite gewährt werden, erhalten die Mitgliedsstaaten 390 Milliarden Euro als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Die EU nimmt die Gelder als Kredite auf. Die Mitgliedsstaaten haften gesamtschuldnerisch. Finanzexperten sehen hierin den Sündenfall, der zukünftig in eine Transferunion einmünden werde.
Der Verteilmechanismus entspricht vordergründig dem pandemiebedingten Wirtscahftseinbruch. Bei näherem Hinsehen aber auch dem Verhandlungsgeschick der beteiligten Politiker.
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ist Kritiker dieser Vorgehensweise. Er stellt gegenüber FOCUS online fest: „Die nicht zurückzahlbaren Subventionen sind Belohnungen für Fehlverhalten im Vorfeld der Corona-Krise.“ Und seine Kritik geht noch weiter: „Die Deutschen gehen später in Rente und haben ein geringeres Rentenniveau und zahlen über die EU-Gelder in Italien und Frankreich das höhere Rentenniveau von Menschen mit, die früher in Rente gehen als Bundesbürger.“
Die bundesdeutschen Arbeitnehmer sollten sich nicht in eine Neidkampagne drängen lassen, wie sie BILD jetzt anzuzetteln versucht. Wir sollten dringend überdenken, ob uns nicht mindestens zusteht, worüber sich Italiener, Franzosen und Spanier freuen können. Und wir sollten unsere Politiker nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, bevor sie uns jene Lebens- und Einkommensverhältnisse garantieren können, wie sie in unseren Nachbarländern selbstverständlich sind.
Wir müssen nämlich selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, dass uns viele europäische Staaten bei Lohn, Einkommen und Vermögen überholt haben. Wir bewegen uns bestenfalls im Mittelfeld. Da Deutschland aber die höchsten Lasten zu tragen hat und die Arbeitnehmer bei uns 50 Prozent ihres Bruttoeinkommens an den Staat abgeben, muss sich jetzt einmal etwas ändern, was die Einkommenssituation der Arbeitnehmer und Rentner in diesem Land nachhaltig verbessert. Dass eine solche Umverteilung möglich und umsetzbar ist, zeigen uns unsere Nachbarländer Tag für Tag.
Friedhelm Sanker