Das Verfallen von Urlaubstagen: Ministerium interpretiert die Gründe und Ursachen überaus eigenwillig
Insgesamt sind in den zurückliegenden drei Jahren annähernd 3000 Urlaubstage im Bereich des NRW-Strafvollzuges verfallen. Dies geht aus einer Antwort von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) auf eine entsprechende Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag hervor. Betroffen seien sowohl Beamte als auch Beschäftigte.
Zudem seien regelmäßig Urlaubstage in beträchtlichem Umfang auf die Folgejahre übertragen worden. Als Gründe für diese Entwicklung führt der Minister persönliche Urlaubsdispositionen und längerfristige Erkrankungen an. Dienstliche oder betriebliche Ursachen werden hingegen nicht gesehen.
Der BSBD hält eine solche Interpretation der erhobenen Daten für abenteuerlich, weil sie faktisch den Blick auf die Realitäten verweigert. Selbst nach den Zahlen des NRW-Justizministeriums ist es nämlich so, dass jährlich von jeder Kollegin und jedem Kollegen mit einer nur geringen Schwankungsbreite rd. 12 Urlaubstage ins nächste Urlaubsjahr übertragen werden. Interessanterweise werden die Daten der Tagesdienst- und der Schichtdienstleistenden durch das Justizministerium nicht getrennt ausgewiesen. Damit schafft man sich die Faktenbasis dafür, dass der Hinweis, persönliche Urlaubsdispositionen seien für die Übertragung von Urlaub ursächlich, nicht als gänzlich falsch angesehen werden kann. Immerhin sind Verwaltungskräfte und die Angehörigen der besonderen Fachdienste nach Abstimmung mit ihren Vertretungskräften in der Lage, individuell Einfluss auf die Realisierung ihrer Urlaubsansprüche zu nehmen.
Im Schichtdienst sieht dies allerdings gänzlich anders aus. Hier sind strikte Urlaubsplanungen erforderlich, damit eine einigermaßen gerechte Gewährung von Urlaub unter Berücksichtigung persönlicher Bedürfnisse (Kinder, Urlaub des Lebenspartners pp.) überhaupt erfolgen kann. Die persönliche Urlaubsdisposition ist hier erheblich eingeschränkt. Von daher kann jeder einzelne auch nur sehr begrenzt darauf Einfluss nehmen, wie viele Urlaubstage in das nächste Urlaubsjahr übertragen werden. Diese Faktenlage blendet die Antwort des Justizministers auf die FDP-Anfrage in unzulässiger Weise aus.
Die FDP-Anfrage hätte dem Justizministerium die Chance geboten, einmal objektiv die angespannte und überaus schwierige Personallage im NRW-Strafvollzug darzustellen, um den dringen Handlungsbedarf für die Politik zu belegen und ggf. zu erzeugen. Diese Chance ist leider vertan worden.
Denn die Übertragung von Urlaub wird speziell im Schichtdienst durch einen Überstundenberg flankiert, der während des letzten Jahrzehnts durchschnittlich 500.000 Stunden betragen hat, die weder finanziell noch durch Freizeit ausgeglichen werden konnten. Dieser Überstundenberg und die Übertragung von durchschnittlich 85.000 Urlaubstagen (davon rd. 75.000 Tage oder rd. 610.000 Stunden im Schichtdienst) in das Folgejahr beziffert den gegenwärtigen Personalfehlbestand im Schichtdienstbereich. Allein um die Mehrarbeit und den übertragenen Urlaub auszugleichen wären rd. 650 Personalstellen erforderlich.
Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass in den 43 Vollzugseinrichtungen Dienstposten bei kurzfristiger Erkrankung meist gar nicht und bei längerfristiger Erkrankung meist nur unzureichend nachbesetzt werden. Nur durch diese Notmaßnahmen wird erreicht, dass die Überstunden nicht ins Unermessliche anwachsen. Angesichts der dschihadistischen Bedrohung und der Flüchtlingskrise ist die Politik allerdings gefordert, den Vollzug unverzüglich personell auf diese erkennbaren Herausforderungen vorzubereiten. Zunächst ist der Personalfehlbestand abzubauen und sind die personellen Konsequenzen aus der aktuellen Bedrohungslage zu ziehen.
In Düsseldorf kommentierte BSBD-Chef Peter Brock die Antwort auf die FDP-Anfrage mit dem Hinweis, dass die Bediensteten des Strafvollzuges an einer Belastungsgrenze angekommen seien. „Mit Bayern leisten wir uns den geringsten Personaleinsatz im Bereich des Strafvollzuges. Würde NRW nicht einen der geringsten Krankenstände bundesweit aufweisen, hätten wir schon die „Weiße Fahne“ der Kapitulation hissen müssen“, kritisierte der Gewerkschafter. Der BSBD beziffert den aktuellen Personalbedarf zur Behebung des Personalnotstandes und für die Bewältigung der sich abzeichnenden Herausforderungen auf rund 1.000 Personalstellen.
„Von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hätte ich erwartet“, so Brock, „dass er die Anfrage der FDP genutzt hätte, um die schwierige Personalsituation im Strafvollzug einmal schonungslos darzustellen. Denn wenn der Staat aus Anlass der Flüchtlingskrise und der dschihadistischen Bedrohungslage seine Sicherheitsorgane personell verstärkt, dann darf der Strafvollzug keinesfalls übersehen werden. Hier hat der Minister eine günstige Gelegenheit verstreichen lassen, um die politischen Entscheidungsträger von der schwierigen Personallage im Strafvollzug zu überzeugen“, machte Peter Brock die Position der Gewerkschaft Strafvollzug deutlich.
Friedhelm Sanker