Und noch ein Problem für die Belegung der Vollzugseinrichtungen
Dieser Tage wurde bekannt, dass bundesweit deutlich über 107.000 Haftbefehle noch nicht vollstreckt werden konnten. Auf Nordrhein-Westfalen entfallen hiervon 24.300 Haftbefehle. Es ist zwar verständlich, dass nicht jedem Eierdieb oder Schwarzfahrer die „polizeiliche Kavallerie“ hinterhergeschickt wird, um ihrer habhaft zu werden, doch ist es auch schwer zu glauben, dass die gesuchten Rechtsbrecher allesamt keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten sollen.
Das Gegenteil dürfte in einer beachtlichen Zahl von Fällen richtig sein. Wenn der Politik noch an einem funktionierenden Rechtsstaat gelegen ist, dann ist schnelles und konsequentes Handeln geboten. Eine große Zahl mit Haftbefehl gesuchter Straftäter, die zudem kaum Fahndungsdruck verspüren, ist absolutes Gift für die Rechtstreue der Bürger. Der Staat riskiert mit einem derart laxen Vorgehen, dass er Respekt und Glaubwürdigkeit sowohl bei Rechtsbrechern als auch bei rechtstreuen Bürgern verliert.
Die jetzt veröffentlichten Zahlen haben aufhorchen lassen und schlaglichtartig sichtbar gemacht, dass der Personalabbau bei Justiz und Polizei nicht folgenlos geblieben ist. Dass sich die rechtstreue Bevölkerung Sorgen macht, ist mehr als nur verständlich. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass sich die Zahl der Einbruchdiebstähle erheblich gegenüber dem Vorjahr erhöht hat, und jetzt wird darüber informiert, dass sich gesuchte Rechtsbrecher trotz eines Haftbefehls durchaus lange Zeit in Freiheit aufhalten und bewegen können. Dies ist eine ganz schlechte Nachricht für die Menschen in NRW, weil es um ihre Sicherheit augenscheinlich schlechter bestellt ist, als sie bislang vermuteten.
Nach dem offiziellen Zahlenwerk sind in NRW derzeit 24.300 Haftbefehle zu vollstrecken. Selbst wenn rund 15.700 Haftbefehle ergangen sind, um Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen, kann dies nicht beruhigen, weil die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe, die schließlich Druck auf den Straftäter entfalten soll, eine verhängte Geldstrafe auch tatsächlich zu bezahlen, ihrer Sinnhaftigkeit beraubt wird.
Immerhin sind 8.600 Haftbefehle wegen anderer Delikte wie z.B. Einbruchdiebstahl, gefährlicher Körperverletzung, Drogenhandel und Raub offen. Würde die Politik schnell mit einer Personaloffensive reagieren, ließen sich durchaus schnelle Erfolge erzielen, weil sich viele gesuchte Rechtsbrecher gar nicht mehr verfolgt fühlen. Für den nordrhein-westfälischen Strafvollzug wäre dies allerdings zunächst einmal eine schlechte Nachricht, weil speziell der geschlossene Erwachsenenvollzug an der Kapazitätsgrenze arbeitet.
Hier müsste sowohl bei den Haftplätzen als auch beim Personal erheblich aufgestockt und nachgelegt werden. Von den 11859 in diesem Bereich verfügbaren Haftplätzen sind 11631 belegt. Von den 228 noch vorhandenen freien Plätzen befinden sich alleine 175 im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg und stehen damit für eine Belegung durch nicht erkrankte Inhaftierte nicht zur Verfügung.
Die hohe Zahl nicht vollzogener Haftbefehle ist durchaus ein beachtliches Problem für den Strafvollzug. Hinzu kommt der Umstand, dass noch eine unbekannte Zahl von verurteilten Rechtsbrechern durch die Staatsanwaltschaften zum Strafantritt geladen worden sind. Werden in Kürze mehr Haftbefehle vollstreckt und stellt sich eine größere Zahl von Straftätern zum Strafantritt, dann haben wir es mit einem kumulierenden Problem zu tun, dass der Vollzug mit den derzeitigen Kapazitäten nicht wird beherrschen können.
Die Bevölkerung des Landes hat einen Anspruch darauf, vor rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilten Rechtsbrechern geschützt zu werden. Inhaftierte haben einen Rechtsanspruch auf eine menschenwürdige, gesetzeskonforme Einzelunterbringung. Der Strafvollzug kann beanspruchen, sowohl sächlich als auch personell aufgabenangemessen ausgestattet zu werden, und die Kolleginnen und Kollegen haben einen lange Zeit vernachlässigten Anspruch, für ihren schwierigen, mitunter gefährlichen und physisch sowie psychisch aufreibenden Beruf angemessen bezahlt und sicherheitstechnisch ausgestattet zu werden.
„Herr Minister Kutschaty, der Ball liegt nun in Ihrem Feld. Es ist an Ihnen, in einem engen Zeitrahmen die Haftplatzkapazitäten und das Personal dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Viel Zeit bleibt nicht mehr, soll der Vollzug von der absehbaren Entwicklung nicht mit unabwägbaren Folgen für unser Rechtssystem und für unsere Gesellschaft überrollt werden.“
Friedhelm Sanker