Tarifrunde 2023: Die Verhandlungen werden konfliktreich werden
In der Rückschau stellt sich das 2021 erzielte Tarifergebnis noch problematischer dar, als wir es zunächst bewertet hatten. Schließlich ist der durch die Arbeitgeberseite so vehement für das Jahr 2022 beschworene Rückgang der Inflationsrate nicht nur ausgeblieben, er hat sich vielmehr verdoppelt. Dabei waren die Arbeitgebervertreter der Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht müde geworden, die steigende Inflation als ein temporäres Phänomen darzustellen. Fairerweise muss man allerdings zugestehen, dass auch viele Ökonomen diese Sichtweise unterstützten.
Den Arbeitnehmern der Bundesländer und im Nachzug davon den Beamten und besonders den Versorgungsempfängern wird angesichts der aktuellen Preisentwicklung bei Ablauf der Vertragslaufzeit ein Verlust an Kaufkraft von mindestens 10 Prozent entstanden sein, wenn die Preise in den kommenden Monaten nicht signifikant zurückgehen. Ein Preisrückgang zeichnet sich derzeit aber nicht ab, und es gibt dafür auch keine wirtschaftlichen Gründe.
Im Gegenteil befürchten Wirtschaftsexperten weitere Beeinträchtigungen durch Putins Überfall auf die Ukraine und die Pandemie-Bekämpfung in China. Durch die zahlreichen Lockdowns liegen ganze Arbeitsbereich brach und in Deutschland werden die dringend benötigten Vorprodukte fehlen, so dass auch die deutsche Produktion ins Stocken geraten wird. In einer globalisierten Welt haben Störungen der Lieferketten nun einmal weitreichende Konsequenzen. Zudem hat sich Deutschland in dieser Hinsicht auch von China abhängig gemacht. Preissteigerungen und ein Rückgang der Wirtschaftsleistung dürften die zwangsläufige Folge sein.
Selbstverständlich werden diese Bedingungen Auswirkungen auf die Höhe der Forderungen der Gewerkschaften haben, mit denen sie in die Verhandlungen gehen. Wie diese Forderungen jedoch durchzusetzen sind, wird uns alle noch vor große Probleme und Herausforderungen stellen. Die Wirtschaftswissenschaftler malen schon mal das düstere Bild einer Lohn-Preis-Spirale an die Wand. Sie raten den Tarifpartnern zur Mäßigung, um die Inflation nicht zusätzlich anzuheizen. Denn, so die Experten, mit einer Gehaltserhöhung von 10 Prozent, der eine Preiserhöhung von vielleicht angenommen 12 Prozent auf dem Fuße folge, sei letztlich nichts gewonnen.
Würde man dieser Logik folgen, hätten die Arbeitnehmer regelmäßig das Nachsehen. Sie wären es schließlich, die dann immer die erste Phase von Preissteigerungen als Kaufkraftverlust hinnehmen müssten, während Unternehmen unmittelbar mit Anhebung der Preise reagieren könnten. Und ob der Verlust mit der nächsten Tarifrunde ausgeglichen werden kann, ist längst nicht sicher. Schon jetzt hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weit geöffnet, da ist es nicht opportun, ein weiteres finanzielles Opfer von der Arbeitnehmerschaft zu erwarten oder gar zu verlangen.
Jetzt rächt sich, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte seit einem Jahrzehnt mit billigem Geld flutet und eine Nullzinspolitik praktiziert, die vor allem die Sparer in Deutschland schleichend enteignet. Ihre eigentliche Aufgabe, nämlich Preisstabilität zu gewährleisten, hat die EZB sträflich vernachlässigt. Ihr war es wichtiger, die Zinsen für den Süden der Europäischen Union niedrig zu halten, damit sich die Staaten günstig finanzieren können. Nach Expertenfeststellung haben allein die deutschen Sparer durch die Zinspolitik der EZB in der Zeit von 2010 bis 2020 satte 732 Milliarden Euro Vermögen verloren. Auch für die Zukunft sieht es nicht rosig aus. Die EZB hat lediglich angekündigt, im Juli 2022 den negativen Zinsbereich verlassen zu wollen. Zinserträge auf Sparkonten sind dann immer noch nicht zu erwarten.
Weil es auf Sparguthaben keine Zinsen gibt, konnten die Privathaushalte auch nicht einen Teil der anspringenden Inflation durch Zinserträge ausgleichen, so sie denn über Vermögen verfügten. Besonders Arbeitnehmer sind seither ausschließlich auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen. Auch deshalb werden die künftigen Tarifverhandlungen mit aller Härte geführt werden müssen.
Wenn die Teuerungsrate im Jahresdurchschnitt 2022 tatsächlich bei über sieben Prozent liegen sollte, dann haben die Arbeitgeber der Länder in der letzten Tarifrunde einen schwerwiegenden Fehler gemacht, der ihnen noch auf die Füße fallen wird. Denn im kommenden Jahr wird die Zugeständnisbereitschaft der Gewerkschaften nahe null tendieren. Etwas anderes wäre unseren Mitgliedern kaum zu vermitteln.
In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung Entlastungspakete auf den Weg gebracht. So gut sie auch gemeint sein mögen, werden sie vermutlich ihr Ziel nicht erreichen, weil die Unternehmen durch Preisanpassung den wesentlichen Teil der investierten Milliarden abgreifen werden. Sinnvoller wäre es gewesen, den Zinssatz der Mehrwertsteuer zu senken.
Sowieso bietet das Steuerrecht die Möglichkeit, die zwingend erforderliche Umverteilung von oben nach unten auf den Weg zu bringen. Die Steuer- und Abgabenlast von Arbeitnehmern ist nirgends so hoch wie in Deutschland. Eine vernünftige Einkommenssteuerreform, die den starken Schultern mehr zumutet als den schwachen, ist angesichts der ungezügelten Inflation dringender denn je. Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung erkennt, was in dieser Lage ihre Aufgabe ist.
Auch für uns Vollzugler stellt die nächste Tarifrunde eine Herausforderung dar. Im Vollzug gibt es kaum Möglichkeiten, die Arbeit im Rahmen eines Streiks niederzulegen, um die Arbeitgeber wirkungsvoll unter Druck zu setzen. Schließlich ist die überwiegende Mehrzahl der Bediensteten verbeamtet. Weil aber die Anpassung von Besoldung und Versorgung in der Regel dem erzielten Tarifabschluss folgt, sollten wir im eigenen Interesse alles daransetzen, bei Demonstrationen mit großen Teilnehmerzahlen präsent zu sein. Alles andere wäre kontraproduktiv und eine schwere Belastung für die Verhandlungssituation des DBB, würden wir doch nach außen signalisieren, dass uns ein hoher Tarifabschluss gar nicht so wichtig ist. Die kommende Runde verlangt deshalb unseren vollen Einsatz. Einfach in den eigenen vier Wänden abzuwarten, was die Tarifverhandlungen ergeben, wird für ein akzeptables Ergebnis nicht ausreichen.
Um die Lage des Mittelstandes spürbar und nachhaltig zu verbessern, sind etliche politische Einzelschritte erforderlich. Hier steht die Bundesregierung in der Pflicht, endlich zu liefern, damit die Schere zwischen Arm und Reich zumindest teilweise geschlossen werden kann. Bei den nächstjährigen Tarifverhandlungen sind aber auch wir zur Solidarität verpflichtet. Denn man darf von Betroffenen schon erwarten, dass sie tun, was sie tun können, um ihre Lage selbst signifikant zum Guten zu wenden.
Friedhelm Sanker