Tarifeinheitsgesetz still und heimlich novelliert
Es waren die Streiks von Lokomotivführern und Piloten, die Andrea Nahles, die seinerzeitige Arbeitsministerin und jetzige SPD-Vorsitzende, zum Tarifeinheitsgesetz motivierten. Die kleinen Spartengewerkschaften waren ihr offenbar zu mächtig geworden. Und so kam es, wie es meist kommt, wenn sich der Gesetzgeber in die Tarifautonomie einmischt: Das Gesetz wurde zum Rohrkrepierer und hat bislang keine praktische Bedeutung.
Der DBB und andere Gewerkschaften reichten Verfassungsklage ein. Zur Überraschung vieler Experten bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zwar Mitte letzten Jahres, verlangte vom Gesetzgeber allerdings weitreichende Änderungen und setzte dafür eine Frist bis Ende 2018.
Das im Jahr 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz (TEG) sollte dem Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag!“ Geltung verschaffen. Bei der Überschneidung mehrerer Tarifverträge für denselben Bereich, sollte nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft gelten. Gerade dieser Grundsatz wurde vom Verfassungsgericht als ein unzulässiger Eingriff in die Koalitionsfreiheit beanstandet.
Durch die durch das Verfassungsgericht verlangten Änderungen, kann das ursprüngliche Ziel des Gesetzgebers, nämlich Streiks von Spartengewerkschaften faktisch unmöglich zu machen, nicht mehr erreicht werden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Hubertus Heil (SPD), jetziger Arbeitsminister, sich nicht sehr motiviert und engagiert daran machte, den Forderungen der Verfassungsrichter nachzukommen.
Erstaunlich ist außerdem, dass der Minister die Änderungen im Qualifizierungschancengesetz, einem Artikelgesetz, „versteckte“, obwohl das Tarifeinheitsgesetz im Jahre 2015 offensiv von der Regierung verteidigt worden war und mehrere Monate die öffentliche Diskussion beherrschte.
Die jetzt vorgenommene Anpassung sieht vor, dass Minderheitstarifverträge künftig weiterhin gültig bleiben, wenn beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von gewerkschaftlich organisierten Berufs- beziehungsweise Arbeitnehmergruppen, die auch vom Minderheitstarifvertrag erfasst sind, „nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt“ worden sind, wie es in der Änderung des Tarifvertragsgesetzes heißt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bemängelt, dass die Regelung des Tarifeinheitsgesetzes die Koalitionsfreiheit verletzte, deshalb müssten Vorkehrungen für den Fall getroffen werden, dass die Belange einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt würden.
Es ist zu vermuten, dass das Tarifeinheitsgesetz auch in der jetzt modifizierten Fassung keine praktische Bedeutung erlangen wird. Zu kompliziert ist seine Anwendung. Zu kompliziert ist die Ermittlung der mitgliederstärksten Gewerkschaft, weil ein Mitarbeiter ja nicht verpflichtet werden kann, Auskunft über seine Gewerkschaftszugehörigkeit zu geben. Und jetzt fügt Minister Heil dem Gesetz den unbestimmten Rechtsbegriff hinzu „Interessen nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt“, dessen Auslegung wiederum den Arbeitsgerichten überlassen wird. Damit büßt das Gesetz vermutlich seine Praktikabilität gänzlich ein.
In Düsseldorf kritisierte BSBD-Chef Peter Brock die Art und Weise, mit der die Große Koalition die vom Verfassungsgericht verlangten Korrekturen durch den Bundestag gebracht habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Änderungen eines so komplexen Gesetzes, das bei seiner Verabschiedung so große öffentliche Aufmerksamkeit erfahren habe, in einem Artikel des Qualifizierungschancengesetz „versteckt“ würden, das eine ganz andere Gesetzesmaterie behandele. „Der BSBD hätte sich gefreut“, so Brock, „wenn es dem Arbeitsminister gelungen wäre, im Kabinett die Aufhebung des Gesetzes zu erreichen. Jetzt müssen die Tarifpartner künftig mit einer „Gesetzesruine“ klarkommen.“
Friedhelm Sanker