Suizide in NRW-Gefängnissen stark angestiegen
Der Anstieg der Suizide und wohl auch der spektakuläre Fall des mutmaßlichen IS-Terroristen Dschaber al-Bakr, der sich 12. Oktober 2016 in der JVA Leipzig das Leben genommen hatte, sorgen jetzt für ein politisches Umdenken bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung.
Während Jugendstrafvollzugsgesetz NRW, Untersuchungshaftvollzugsgesetz NRW und Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz NRW die Videoüberwachung auch in normalen Hafträumen zulassen, sieht das Strafvollzugsgesetz NRW diese Überwachungsmethode lediglich für die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum vor. Hiermit will Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) jetzt Schluss machen und das Recht für die unterschiedlichen Bereiche des Vollzuges angleichen.
Die Zahl der Suizide in den Vollzugsanstalten des Landes ist seit dem Jahr 1990 deutlich gesunken. Im Jahre 2016 ist bei einer Verdoppelung der Selbsttötungen allerdings ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Für die insgesamt über die letzten zwei Jahrzehnte sehr positive Entwicklung dürfte verantwortlich sein, dass sich die Bediensteten des Strafvollzuges sehr professionell der Suizidprophylaxe widmen. Bereits in der Ausbildung werden die Nachwuchskräfte intensiv geschult, damit sie in der Praxis auf die Befindlichkeiten und Stimmungen von Menschen in schwierigen Lebensphasen angemessen und vorbeugend reagieren können.
Im Rechtsausschuss hat Justizminister Thomas Kutschaty jetzt erklärt, dass der Verzicht auf eine Videoüberwachung in normalen Hafträumen, wie sie durch das Strafvollzugsgesetz NRW aus dem Jahre 2015 vorgesehen ist, nunmehr aufgegeben werden soll. Hier hat augenscheinlich der Fall al-Bakrs Wirkung entfaltet, weil sich gezeigt hat, dass eine erregte Öffentlichkeit im Nachhinein nur schwer überzeugt werden kann, Verständnis dafür aufzubringen, dass der Vollzug lediglich beabsichtigt habe, den Eingriff in Grundrechte des Betroffenen so gering wie möglich zu halten. Der normale Bürger fragte sich hier zu recht, was nutzt einem Gefangenen die Beachtung seiner Grundrechte, wenn er diese Entscheidung nicht überlebt?
Mit dem Strafvollzugsgesetz NRW von 2015 ist die Beobachtung von Gefangenen mit technischen Hilfsmitteln für den Bereich der Vollstreckung von Freiheitsstrafe an Erwachsenen aufgegeben worden. Man war offensichtlich der Auffassung, dass die Suizidprophylaxe ein solches Instrument nicht mehr benötige. Schon damals war allerdings nicht recht einsichtig, warum vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden sollten. In der Jugendstrafhaft, in der Untersuchungshaft und der Sicherungsverwahrung blieb die Videoüberwachung schließlich weiterhin rechtlich zulässig.
Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hatte der BSBD auf diese Diskrepanz aufmerksam gemacht und auch für die Strafhaft die Beibehaltung der Videoüberwachung gefordert. Die Landesregierung hat seinerzeit die Erfahrungen der Praxis ignoriert und sich nicht von ihrer als liberal empfundenen Regelung abbringen lassen.
Jetzt aber hat die Landesregierung ihre Meinung offenbar geändert. Der Fall der Selbsttötung des vermeintlichen IS-Terroristen in der JVA Leipzig hat offenbar für den erforderlichen Handlungsdruck gesorgt.
Zur vollständigen Angleichung an die anderen Vollzugsgesetze kann sich die rot-grüne Landesregierung aber immer noch nicht entschließen. Sie will nach einem Bericht des Justizministeriums an den Rechtsausschuss einem „leichtfertigen Einsatz dieser Sicherungsmaßnahme“ dadurch vorbeugen, dass sie den Vollzugseinrichtungen eine Berichtspflicht auferlegen will, wenn die Anordnung der Sicherungsmaßnahme länger als drei Tage andauert.
Die erforderliche Änderung des Strafvollzugsgesetzes NRW soll noch vor der Weihnachtspause unter Dach und Fach gebracht werden. Die Landesregierung wäre allerdings gut beraten, einfach die Regelungen der anderen Vollzugsgesetze zu übernehmen, ohne eine gesonderte Berichtspflicht einzuführen.
Diese Auffassung hat BSBD-Chef Peter Brock in den letzten Tagen immer wieder gegenüber den Medien vertreten. Er plädierte dafür, den Kolleginnen und Kollegen ein effizientes Instrument für eine wirksame Suizidprophylaxe zur Verfügung zu stellen. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass er die Videoüberwachung auch in Normalhafträumen für das geeignete Instrument dafür hält. Brock: „Gerade zu Beginn des Vollzuges sind Gefangene vielfach suizidgefährdet, da ist die Nutzung der Videotechnik ein gutes Mittel, um einer akuten Gefahr der Selbsttötung effektiv entgegen zu wirken. Selbstverständlich ist zum Schutz der Privatsphäre jedes Betroffenen sicherzustellen, dass dem Beobachteten der jeweilige Betriebszustand dieser Technik optisch angezeigt wird.“
Friedhelm Sanker