NRW-Strafvollzug: Fit machen für künftige Herausforderungen
Die Wahl des richtigen Zeitpunktes ist im politischen Geschäft eine hohe Kunst. Wenn dann noch ein Schuss Fortune hinzutritt, besteht eine gute Chance, auch in diesem Metier erfolgreich zu sein. Das Timing von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) vermochte jedenfalls zu überzeugen. In der parlamentarischen Sommerpause hatte er am 8. August 2018 zu einem Pressefrühstück in den Landtag geladen, um seine Vorstellungen für die künftige Entwicklung des Vollzuges öffentlich darzustellen.
Er konnte in dieser nachrichtenarmen Zeit einigermaßen sicher sein, die gewünschte Aufmerksamkeit für dieses sperrige Thema zu erhalten.
Der Minister wartete gleich zu Beginn der Veranstaltung mit einer Neuigkeit auf, in dem er symbolisch den Startschuss für die „Task Force Justizvollzug“ gab. Als Landesjustizvollzugsdirektion wird sie sich künftig als Bestandteil der Abteilung Justizvollzug um die operativen Abläufe im Bereich des Vollzuges kümmern. Die eigenverantwortliche Wahrnehmung der Fachaufsicht über die 36 Vollzugseinrichtungen des Landes wird dabei zu ihren Hauptaufgaben zählen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Öffentlichkeitsarbeit. Die Vollzugsdirektion wird deshalb über eine eigene Pressestelle verfügen, die durch Dr. Marcus Strunk geleitet wird. Diese Organisationseinheit soll das Ziel verfolgen, einer interessierten Öffentlichkeit Aufgaben, Entwicklungen und Erfolge des NRW-Strafvollzuges transparent und wahrnehmbar zu machen.
Die Geschäftsführung der Vollzugsdirektion ist Gerhard Marx übertragen worden. Er wird mit seiner Mannschaft dafür sorgen, dass alle anderen Referate der Abteilung IV des Ministeriums von den vielfältigen Aufgaben des Tagesgeschäfts entlastet werden. Die Abteilung kann sich somit voll und ganz ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden, nämlich der konzeptionellen und strategischen Ausrichtung und Weiterentwicklung des Vollzuges.
Nach Ansicht von Justizminister Peter Biesenbach ist diese deutschlandweit einmalige organisatorische Neuausrichtung des NRW-Vollzuges die Voraussetzung dafür, den Vollzug für die Herausforderungen der kommenden Jahre effizient aufzustellen. Man bleibe jedoch nicht bei reinen Formalien stehen, sondern werde auf der Grundlage der durch den neuen Abteilungsleiter IV, MinDirigent Jakob Klaas, vorgenommenen Bestandsanalyse sowohl in Infrastruktur als auch in das Personal investieren, weil der Vollzug nur so angemessen auf künftige Herausforderungen vorbereitet werden könne.
Ein besonderes Lob hielt der Minister für die Strafvollzugsbediensteten bereit, von deren Improvisationstalent er zutiefst überzeugt sei. Die noch unter der Vorgängerregierung von einen Tag auf den anderen notwendig gewordene Räumung der JVA Münster sei eine logistische Meisterleistung der Bediensteten gewesen. Diese Verlässlichkeit und Flexibilität in der Aufgabenwahrnehmung, die hierdurch zum Ausdruck gekommen sei, schätze er, Biesenbach, ganz besonders.
Seit 2016, führte der Minister aus, sei eine Trendumkehr bei den Belegungszahlen festzustellen. Hierauf müsse Politik reagieren. Leerstände bei den Hafträumen seien nicht mehr akzeptabel. Jeder Haftraum werde dringend benötigt. Deshalb investiere die Landesregierung in die teilweise marode Bausubstanz. Und weil die Belastungen der Bediensteten zunähmen, habe Schwarz-Gelb auch hier reagiert und 230 neue Stellen geschaffen. Diesen Weg wolle die Landesregierung auch 2019 fortsetzen, sich aber auch verstärkt um die Ausweitung der Ausbildungskapazitäten und die Gewinnung geeigneten Personals bemühen.
Minister Peter Biesenbach verwies darauf, dass die Gefangenen schwieriger im unmittelbaren Umgang geworden seien. Als Gründe seien bislang ein sinkendes Bildungsniveau, psychiatrische Vorerkrankungen und drogenindizierte Persönlichkeitsveränderungen identifiziert worden. Auch Verständigungsschwierigkeiten, so der Minister, stellten die Strafvollzugsbediensteten vor enorme Probleme. Die Ausländerquote habe sich auf 36,5 Prozent erhöht, da bereite bereits die bloße Kommunikation erhebliche Schwierigkeiten.
Justizminister Peter Biesenbach strebt mit den beabsichtigten Investitionen und der Strukturerneuerung an, dass Nordrhein-Westfalen künftig wieder eine Vorreiterrolle eines modernen Strafvollzugs in Deutschland einnimmt. Deshalb werden Projektentwicklung und Projektumsetzung nunmehr in einer weiteren Gruppe der Strafvollzugsabteilung des Ministeriums konzentriert. Ziel ist es, auf aktuelle Entwicklungen schnell reagieren und dem Vollzug speziell im Behandlungsbereich neue und wichtige Impulse geben zu können.
Der versammelten Journaille stellte der Minister dann die Arbeitsschwerpunkte dieser Gruppe vor und betonte dabei, dass es zunächst um die Entwicklung niederschwelliger Bildungsangebote, die bessere Integration von ausländischen Strafgefangenen, die intensivere psychiatrische Versorgung verhaltensauffälliger Gefangener, die Stärkung der Kontakte inhaftierter Eltern zu ihren Kindern, die Verbesserung der Suizidprophylaxe und die bessere Vernetzung des Vollzuges auch über Ländergrenzen hinweg gehe.
Mit der Strukturerneuerung und den geplanten Investitionen zielt die Landesregierung nach Auffassung des Ministers darauf ab, den Vollzug für die Zukunft und die absehbaren Herausforderungen fit zu machen. Minister Biesenbach lud die Presse abschließend ein, sich selbst ein Bild von der Arbeit der Bediensteten und der Wiedereingliederung der Gefangenen zu machen. Der Minister wörtlich: „Helfen Sie uns, die besondere Bedeutung des Justizvollzugs in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Wir wollen den Justizvollzug so darstellen, wie er für die Gefangenen wirklich ist: Hart, aber fair und mit hoch motivierten Beschäftigten, die öffentliche Anerkennung verdienen!“
Im Anschluss an das Pressegespräch waren die Einschätzungen des BSBD-Vorsitzenden Peter Brock gefragt. Er machte darauf aufmerksam, dass der BSBD es immer für falsch gehalten habe, die Mittelbehörden abzuschaffen. Dies habe in den zurückliegenden zehn Jahren doch zu beträchtlichen Reibungsverlusten geführt. Mit der neuen Struktur trenne der Minister die strategische Ausrichtung des Vollzuges wieder vom operativen Tagesgeschäft, ohne eine neue Mittelbehörde zu schaffen. Dies halte der BSBD für sachgerecht und geboten, damit die Konzeptentwicklung nicht ständig durch Erfordernisse des allgemeinen Geschäftsbetriebs belastet werde.
Und auch bei der Schaffung neuer Stellen lasse sich der CDU-Minister von jenen Erkenntnissen und Überzeugungen leiten, die er noch zu Oppositionszeiten für richtig gehalten habe. Hierdurch hebe sich der neue Amtsinhaber wohltuend von seinen Vorgängern ab. Zudem, so stellte Peter Brock klar, verfüge der Justizminister im Kabinett augenscheinlich über jenen Einfluss und jenes Durchsetzungsvermögen, seine Vorstellungen tatsächlich realisieren zu können. Damit seien nicht alle Probleme behoben, man marschiere aber in die richtige Richtung. Speziell die Gewinnung geeigneter Kräfte für die neu geschaffenen Stellen bereite Sorge, weil der Arbeitsmarkt faktisch leergefegt sei.
Jetzt zeichne sich für den Vollzug erstmals die realistische Chance einer aufgabenangemessenen Ausstattung und einer akzeptablen Infrastruktur ab. „Man kann Minister Peter Biesenbach aus Sicht des Strafvollzuges und aus Sicht der Bediensteten nur wünschen, dass es ihm weiter gelingt, seine Vorstellungen in praktische Politik umzusetzen“, würdigte der BSBD-Chef den Einsatz des Ministers für den Vollzug.
Friedhelm Sanker