Landgericht Limburg: Wird das Urteil gegen zwei Strafvollzugsbedienstete vom Bundesgerichtshof kassiert?
Vor Jahresfrist sind zwei rheinland-pfälzische Strafvollzugsbedienstete durch das Limburger Landgericht wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, weil sie – nach Überzeugung des Gerichts – bei getroffenen Lockerungsentscheidungen nicht die erforderliche Sorgfalt haben walten lassen. Gegen dieses Urteil haben die Betroffenen Revision eingelegt, die allem Anschein nach auch Erfolg haben könnte.
Die Bundesanwaltschaft will - nach derzeitigem Kenntnisstand - einen Freispruch erwirken. Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist auf den 25. September 2019 terminiert.
Ausgangspunkt des Verfahrens war, dass ein im offenen Vollzug befindlicher Strafgefangener Lockerungen erhalten hatte und sich während dieser Lockerung, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, ans Steuer eines Pkw setzte. Dabei geriet er in eine Polizeikontrolle, die er missachtete und davonraste. Die Polizeikräfte nahmen die Verfolgung auf, was den Gefangenen dazu veranlasste, in falscher Fahrtrichtung auf eine autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße aufzufahren. Die Polizeikräfte stutzen zunächst, fuhren dann aber mit Sondersignal ebenfalls in falscher Fahrtrichtung auf die Bundesstraße auf. Dieses Verhalten der Polizei setze den Gefangenen derart unter Druck, dass er seine Geschwindigkeit kontinuierlich erhöhte. Der Gefangene konnte zwar etlichen entgegenkommenden Fahrzeugen ausweichen, stieß letztlich aber mit dem Fahrzeug einer 21 Jahre alten jungen Frau zusammen, die sich aus Anlass des Unfalls tödliche Verletzungen zuzog.
Wegen dieser Tat ist der Strafgefangene zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft klagte aber auch die Entscheider des Strafvollzuges an, weil sie die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tötung als erfüllt ansah. Sie begründet die Mitschuld der Angeklagten damit, dass sie in grob pflichtwidriger Weise die Zulassung des betreffenden Gefangenen zum offenen Vollzug und zum Freigang bewirkt hätten. Das Limburger Landgericht schloss sich dieser Argumentationskette an und verurteilte die beiden Strafvollzugsbediensteten zu Bewährungsstrafen.
Das Limburger Urteil hat die Juristen der Bundesanwaltschaft nicht überzeugen können. In der im September 2019 anstehenden mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe will der Generalbundesanwalt auf Freispruch für die Vize-Chefin der JVA Wittlich plädieren. Das Verfahren gegen den zweiten Bediensteten soll – wie der „Trierer Volksfreund“ erfahren haben will – an das Landgericht Limburg zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen werden.
Vollzugs- und Rechtsexperten blicken mit großer Spannung der neuerlichen Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe entgegen, weil das Verfahren für den Strafvollzug und dessen künftige Ausgestaltung so immens wichtig ist.
Dürfen Dritte im Falle eines Verbrechens wirklich zur Verantwortung gezogen werden? Das Limburger Landgericht hat diese Rechtsfrage mit einem klaren Ja beantwortet. Die Bundesanwälte vertreten hingegen eine diametral entgegengesetzte Rechtsauffassung.
Der Generalbundesanwalt hat das Urteil gegen die beiden Strafvollzugsbediensteten nach allen Regeln der juristischen Kunst zerpflückt. In einem der Tageszeitung „Trierer Volksfreund“ vorliegenden Schreiben soll er dem Gericht massive Fehler vorgeworfen haben. So habe das Limburger Gericht eine zu „einseitig-düstere Sichtweise“ hinsichtlich der Eignung des Freigängers für die Verlegung in den offenen Vollzug an den Tag gelegt. Im Gegensatz zum Limburger Gericht sieht der Generalbundesanwalt offenbar keine gravierenden Versäumnisse, die den betroffenen Vollzugsbediensteten vorgeworfen werden könnten. Speziell die Strafvollzugsbediensteten werden das Urteil des Bundesgerichtshofs sehnlich erwarten. Dabei können sie nach den Äußerungen des Generalbundesanwalts durchaus optimistisch sein.
Das Limburger Urteil dürfte mit ursächlich dafür sein, dass Verlegungen in den offenen Vollzug in vielen Bundesländern rückläufig sind. Die Entscheider haben seither offenbar eine „Schere im Kopf“. An erster Stelle steht deshalb die eigene Absicherung und nicht immer die Erprobung von Gefangenen unter weitgehend freien Rahmenbedingungen.
Nordrhein-Westfalen hält die größten Haftplatzkontingente im offenen Strafvollzug vor. Und auch hier sind die Entscheider verunsichert, obwohl die Administration durch entsprechende Veranstaltungen versucht hat, gegenzusteuern. Angesichts eines solchen Urteils, wie es durch das Landgericht Limburg im letzten Jahr gefällt wurde, ist es aber verständlich, dass die Entscheidungen restriktiver ausfallen. Schließlich geht es in letzter Konsequenz um die eigene berufliche Existenz.
Der offene Strafvollzug ist ein wesentliches Element der Wiedereingliederung, weil hier unter realistischen Bedingungen und weitgehender Öffnung des Vollzuges, die Tragfähigkeit neu vermittelter Verhaltensweisen überprüft werden kann. Damit gehört das Scheitern solcher Maßnahmen faktisch mit zum Programm. Denn wäre man sicher, dass die Behandlung eines Straftäters dessen Verhalten in jedem Fall positiv verändert, bedürfte es einer Erprobung nicht. Um die Allgemeinheit aber bestmöglich vor Risiken zu schützen, werden im Vollzug aufwändige Einzelfallentscheidungen unter Beachtung vorgegebener Kriterien getroffen, an denen alle mit dem jeweiligen Gefangenen befassten Kolleginnen und Kollegen beteiligt sind. In besonders schwierigen Fällen wird außerdem externer Sachverstand hinzugezogen.
Die ganz überwiegende Zahl der getroffenen Einzelfallentscheidungen erweist sich in der Praxis als richtig und belastbar. Aber es gibt auch Ausnahmen. Nicht immer enden diese so tragisch wie im Fall der jungen, völlig unbeteiligten Frau aus Limburg, die bedauerlicherweise ihr Leben verlor. Der Unfallverursacher ist zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt worden, was dem Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger entsprechen dürfte.
Die Verurteilung der vollzuglichen Entscheider zu Bewährungsstrafen wird von diesem öffentlichen Rechtsempfinden allerdings nicht gedeckt. Ansonsten hätten auch Verfahren gegen jene Richter angestrengt werden müssen, die den Unfallverursacher viele Male zur Bewährung verurteilten, obwohl er immer wieder einschlägig ohne Fahrerlaubnis am Straßenverkehr teilnahm und oftmals gefährliche Situationen heraufbeschwor. Die einen schützt die richterliche Unabhängigkeit, während den Vollzugsentscheidern mit dem Limburger Urteil ein existenzielles Berufsrisiko aufgebürdet wird.
Die neuerliche Wende in dem Verfahren hat BSBD-Chef Peter Brock in Düsseldorf nachdrücklich begrüßt: „Wenn bereits der Generalbundesanwalt das Limburger Urteil für falsch und revisionsbedürftig hält, dann können die Strafvollzugsbediensteten optimistisch nach Karlsruhe blicken, wenn dort im September geurteilt wird. Es bleibt zu hoffen, dass der Vollzug anschließend wieder zu seinen alten Entscheidungsabläufen zurückkehren kann und Entscheider nicht mehr befürchten müssen, für Taten von Gefangenen mitverantwortlich gemacht zu werden.“
Alles andere als die Aufhebung des Limburger Urteils, dessen ist sich der BSBD sicher, hätte nachhaltige und gravierend negative Auswirkungen auf das Geschehen in den bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen. Die Entscheider würden in diesem Fall aus Gründen des Eigenschutzes noch restriktiver vorgehen, obwohl dies von der Sache her und angesichts der überaus geringen Missbrauchszahlen nicht gerechtfertigt wäre. Dies kann weder im Interesse des Vollzuges noch in dem unserer Gesellschaft liegen.
Der BSBD ist aber bereits jetzt überzeugt, dass der Bundesgerichtshof eine zukunftsorientierte, weise Entscheidung treffen wird, die den gesellschaftlichen Auftrag des Vollzuges anerkennt, respektiert und wieder vernünftig handhabbar macht.
Friedhelm Sanker