Jugendvollzug:
Vorhandene Kapazitäten kurzfristig besser auslasten
Vor dem Hintergrund freier Haftplatzkapazitäten im nordrhein-westfälischen Jugendstrafvollzug sind in den Medien die Ursachen dieser Entwicklung heftig diskutiert worden.
Während BSBD-Chef Peter Brock die sich leerenden Hafträume im Jugendvollzug teilweise auf eine nachsichtigere Spruchpraxis der Gerichte zurückführte und er damit die Erfahrungen der Kollegen der Polizei wiedergab, berichtete Justizminister Peter Biesenbach (CDU) aus Anlass der Tötung eines Schülers in Lünen durch einen Mitschüler davon, dass die Zahl verurteilter jugendlicher Gewalttäter in den zurückliegenden zehn Jahren von 3.423 auf 1.049 zurückgegangen sei, was zu einer geringeren Zahl von Inhaftierten beigetragen habe. Der Lünener Fall mache allerdings überaus betroffen, sei aber völlig untypisch und falle daher aus dem Rahmen.
Der Justizminister führt den Rückgang der Verurteilung von jugendlichen Gewalttätern zudem nicht auf eine mildere Bestrafung von Straftaten zurück, vielmehr habe sich die Situation tatsächlich entspannt. Dieser Entwicklungsprozess müsse weiter verstetigt werden.
Ein konsequentes Durchgreifen der Justiz sieht der Minister auch in dem Umstand begründet, dass bei Heranwachsenden zunehmend und in einem zahlenmäßig beachtlichen Umfang Taten nach dem Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt würden. Habe der Anteil 2011 bei insgesamt 29 Prozent gelegen, so sei er bis 2015 bereits auf 35 Prozent angestiegen.
Daneben seien auch die Zahlen der Gewalttäter, die wegen Tötungsdelikten und Körperverletzungen verurteilt wurden, stark rückläufig. Der Minister freute sich, dass sich die Zahlen in die richtige Richtung bewegten, sieht allerdings noch keinen Grund zur Entspannung, weil die Gruppe der Intensivtäter durchaus Sorgen bereite.
Die Erklärung der Ursachen für die nur gering belegten Jugendanstalten des Vollzuges fallen nur scheinbar auseinander. Während der Minister die Gewaltkriminalität aus dem Bereich der Jugendkriminalität herausgegriffen hat, bezog sich die Bewertung des BSBD-Vorsitzenden auf den gesamten Bereich der Kriminalität von jungen Menschen und betonte besonders die Erfahrungen der Polizei mit Intensivtätern, die bei massenhaften Bagatelldelikten meist nach der Feststellung ihrer Personalien wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssten. Die Anordnung der Untersuchungshaft sei bei Jugendlichen schließlich nur im Ausnahmefall möglich und deshalb Ultima Ratio.
Justizminister Peter Biesenbach hat für diesen speziellen Bereich der Intensivtäter Probleme eingeräumt und vorgeschlagen, das beschleunigte Verfahren bis zu einem Strafmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe auszuweiten. Der Minister kündigte insoweit eine Bundesratsinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen an. Für den BSBD begrüßte dessen Vorsitzender Peter Brock diese politische Absicht, weil eine schnelle staatliche Reaktion, die mit der Tat in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehe, am ehesten geeignet sei, bei Tätern Einsicht in eigenes Fehlverhalten zu erzeugen.
Der BSBD-Chef machte zudem deutlich, dass für die Gewerkschaft Strafvollzug der Einsatz der vorhandenen Ressourcen von wesentlicher Bedeutung sei. Während die Einrichtungen des Erwachsenenvollzuges unter hohen Belastungen und Überbelegungen ächzten, würden im Jugendvollzug Personal und Kapazitäten vorgehalten, die derzeit nicht ausreichend ausgelastet wären. Man könne, so Brock, aber nicht die Kapazitäten reduzieren, ohne eine Ahnung von der künftigen Bedarfsentwicklung zu haben. Deshalb sei dem BSBD daran gelegen, bei jenen Heranwachsenden, die eine Freiheitsstrafe nach Erwachsenenstrafrecht verbüßen, und bei Erwachsenen bis zum 24. Lebensjahr verstärkt zu prüfen, ob eine Strafvollstreckung gem. § 114 Jugendgerichtsgesetz in einer Jugendstrafanstalt erfolgen kann.
Denn speziell im Jugendvollzug werden jene Förderungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten vorgehalten, auf die junge Menschen dringend angewiesen sind, um künftig ein regelkonformes Leben ohne Straftaten führen zu können. Speziell die vorhandenen schulischen und beruflichen Förderungskapazitäten sollten daher möglichst schnell wieder besser ausgelastet werden, weil sich gerade diese Erziehungs- und Behandlungsmöglichkeiten in der Vergangenheit als wirksam und rückfallmindernd erwiesen haben
Die Kapazitäten des Jugendvollzuges werden mittelfristig aller Voraussicht nach auch wieder in vollem Umfang benötigt. Die u.a. durch Prof. Dr. Christian Pfeiffer im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellte Studie „Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland“ belegt für Niedersachsen eine Zunahme der Gewaltkriminalität für die Jahre 2014 und 2015 um 10,4 Prozent. Von diesem Anstieg seien 92,1 Prozent Flüchtlingen zuzurechnen und der überwiegende Teil davon jungen Menschen.
Nach Aussage der Verfasser der Studie könnte der starke Anstieg der Jugendgewalt in den Jahren 2015 und 2016 analog für das gesamte Bundesgebiet gelten, weil Niedersachsen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und deren Altersverteilung durchschnittliche Werte aufweise. Damit deutet die Studie darauf hin, dass in Nordrhein-Westfalen nicht vorschnell auf Kapazitäten im Jugendvollzug verzichtet werden kann. Auch die Verteilung der Straftäter vermehrt auf solche Ethnien, die sich als nur „schwer kompatibel“ erweisen, machen es aus Gründen notwendiger Binnendifferenzierung unverzichtbar, auf ausreichende Kapazitäten zurückgreifen zu können.
Friedhelm Sanker