Jugendvollzug ist besser als sein Ruf
Die kriminologischen Forschungsinstitute der Bundesrepublik haben seit Jahren eine erstaunliche Konstante: Sie schreiben dem bundesdeutschen Jugendstrafvollzug eine nur bedingte Wirkung zu, delinquentes Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden nachhaltig verändern zu können. Regelmäßig werden Rückfallquoten von über 80 Prozent ins Spiel gebracht und Forderungen nach alternativen Behandlungsformen erhoben. Jetzt aber belegt eine hessische Studie eindeutig: Jugendliche Gefangene entwickeln sich im Knast positiv!
Die Studie belegt, dass in Hessens Jugendgefängnissen die Vermittlung neuer Verhaltensweisen recht gut funktioniert. Die durch das hessische Justizministerium initiierte Untersuchung ist dieser Tage der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) betonte dabei die besondere Bedeutung von Kriminalprävention.
Auch die hessische Untersuchung gelangt zu dem Ergebnis, dass rund 70 Prozent der aus den Jugendgefängnissen in Hessen entlassenen Straftäter wieder rückfällig werden. Diese Zahl schockt, wenn sie nicht erklärt wird, weil sie vermeintlich für das Versagen des Vollzuges steht. Doch wenn man nach einer Frist von drei Jahren bislang unbescholtene Bürger überprüfen würde, läge die Rückfallquote auch nicht bei null. Der Tübinger Kriminologe Hans-Jürgen Kerner, einer der Autoren der Studie, stellte deshalb klar: „Viele glauben, der Vollzug macht alles schlechter und ist die Schule des Verbrechens. Das ist mit der Studie widerlegt.“
Hierfür sind die unterschiedlichen Rückfalldefinitionen verantwortlich. Ziel des Jugendvollzuges ist es nämlich, junge Straftäter zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ohne dass sie nochmals stationär im Jugendvollzug aufgenommen werden müssen. Nach dieser Definition schaffen es bei einer Rückkehrerquote von lediglich 30 Prozent in Hessen immerhin 70 Prozent die Wiederaufnahme im Vollzug zu vermeiden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Rückfälligen viel weniger und vor allem weniger schwere Straftaten begehen. „Dies ist aus Opfersicht ein erheblicher Unterschied und ein Erfolg“, erklärte Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bei der Vorstellung der Untersuchung.
„Die jugendlichen Gefangenen haben sich während der Haft überwiegend positiv entwickelt“, stellte der Psychologe Jost Stellmacher von der Universität Marburg fest. Die Wissenschaftler haben unter dem Aspekt der Rückfälligkeit drei Jahre lang die 250 männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden wissenschaftlich begleitet, die 2009 aus dem hessischen Jugendvollzug entlassen wurden. Die Marburger Forscher befragten zudem 205 junge Männer am Anfang und Ende ihrer Haftzeit danach, wie hilfreich sie die Angebote im Gefängnis empfanden. Die Fachleute des Jugendvollzuges wurden ebenfalls um eine fachliche Einschätzung gebeten.
Der Selbstwert der jungen Inhaftierten, ihre kritische Haltung zu den eigenen Taten und die Motivation, künftig Konflikte mit den Strafgesetzen zu vermeiden, seien während der Haft deutlich gestiegen, berichtete Psychologe Stellmacher. Die meisten Straftäter hätten verstanden, dass ihre Gewaltbereitschaft ein Problem darstelle und sie den Kontakt zu ihrem früheren Freundeskreis abbrechen müssten. Die Leistungsmotivation, die Bereitschaft zur Wiedereingliederung, die Einstellung zu Drogenkonsum und Schuldenproblemen - all dies habe sich im Durchschnitt nachhaltig verbessert.
Die Akzeptanz der Angebote im Gefängnis sei gut, sagte Stellmacher. Bei der Bewertung von 14 unterschiedlichen Maßnahmen mit Schulnoten vergaben die Gefangenen fast ausschließlich die Schulnoten Eins und Zwei. Am besten kamen die persönliche Betreuung von Ehrenamtlichen und die Computerkurse weg, am schlechtesten Suchttherapie und Schuldenberatung. Solche konfrontativen Angebote schnitten zwar schlechter ab, seien dennoch extrem sinnvoll, sagte Präventions-Fachmann Helmut Fünfsinn vom hessischen Justizministerium. Besonders positive Wirkung entfaltet nach den Worten Stellmachers die Gewaltprävention. Ein Risikofaktor, nach der Entlassung wieder rückfällig zu werden, sei dagegen das Gefühl vieler Straftäter, durch die Gesellschaft stigmatisiert zu werden.
«Wir haben eine schwierigere Klientel im Vollzug, als noch vor 15 Jahren», sagte die Ministerin. Denn ein großer Teil der Jugendlichen müsse dank vielfältiger Präventionsangebote gar nicht erst ins Gefängnis, sondern bekomme vorher die Kurve. „Kriminalprävention wirkt und rechnet sich“, ergänzte Fünfsinn. Die Jugendkriminalität gehe insgesamt zurück, und zwar deutlich stärker als dies mit dem demografischen Wandel zu erklären sei.
Der Jugendstrafvollzug ist das letzte Mittel, mit dem der Staat auf Jugendkriminalität reagiert. Wenn man die Leistungen des Jugendvollzuges richtig bewerten will, muss man sich vor Augen führen, um welche Personengruppe es sich handelt, und welche Institutionen sich im Vorfeld des Jugendvollzuges bereits erfolglos um die Erziehung dieser jungen Menschen bemüht haben.
Im Regelfall waren diese jungen Menschen bereits sehr früh in Familie und Schule verhaltensauffällig. Nach dem Begehen erster Straftaten sind Erziehungsmittel, Geld- und Bewährungsstrafen wirkungslos geblieben. Reaktionsmöglichkeiten, denen von der Wissenschaft eine höhere Wirksamkeit als dem Jugendstrafvollzug zugeschrieben wird, haben damit in all diesen Fällen zu 100 Prozent versagt (!!). Die hessische Studie weist jetzt noch einmal nach, dass Jugendstrafe Wirkung noch dort entfaltet, wo alle anderen Sanktionsmöglichkeiten vollständig versagen.
Der Jugendvollzug erweist sich in den problematischsten Fällen allen anderen Methoden der Verhaltensbeeinflussung als deutlich überlegen. Wenn jemand ein in 70 Prozent aller Fälle wirksames Medikament gegen eine schwere Krankheit auf den Markt bringen würde, könnte er mit dem Medizin-Nobelpreis rechnen. Der Jugendstrafvollzug aber steht, obwohl er noch Wirkung dort entfaltet, wo alle anderen Erziehungsmittel vollständig versagt haben, regelmäßig in der Kritik. Die Praktiker des Jugendvollzuges wissen, welche Mühen es verursacht, kriminelle Karrieren zu beenden und junge Straftäter positiv zu beeinflussen und dauerhaft zu verändern. Der Jugendstrafvollzug erbringt damit, wie die hessische Studie überzeugend belegt, eine bemerkenswerte gesellschaftliche Leistung!