Brand in der JVA Kleve: Justizminister und Vollzug werden von Medien und Landtagsopposition attackiert
In der JVA Kleve ist ein 26-jähriger Syrer an seinen Brandverletzungen verstorben. Dies ist tragisch. Noch tragischer ist, dass er unschuldig inhaftiert war, weil die Polizei über seine Identität irrte. Dies ist etwas, wofür der Innenminister Verantwortung übernommen hat. Der Strafvollzug ist hier nicht unmittelbar tangiert. Er hat die Verwechselung der Identitäten nicht zu verantworten. Trotzdem sehen sich die Bediensteten jetzt öffentlich an den Pranger gestellt. Viele Medien sprechen von einem Justizskandal.
Es war lange Zeit gute parlamentarische Praxis, den Strafvollzug aus der alltäglichen politischen Auseinandersetzung herauszuhalten. Im Gegenzug informierte die jeweilige Regierung möglichst schnell und umfassend auf der Basis der jeweils aktuellen Erkenntnislage über außerordentliche Sicherheitsstörungen. Hiermit ist man in der Vergangenheit gut gefahren. Jetzt aber spricht die Opposition im Klever Fall von einem Justizskandal und zieht die Redlichkeit des Vollzuges und des zuständigen Ministers öffentlich in Zweifel.
Was war geschehen? Justizminister Peter Biesenbach hatte den Fachausschuss über den Brand in der JVA Kleve und seine schlimmen Folgen informiert und dabei angegeben, dass es keine Hinweise gegeben habe, dass Amed A. seine Kommunikationsanlage betätigt habe, um auf sich aufmerksam zu machen. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen hat die zuständige Ermittlungsbehörde inzwischen mitgeteilt, dass sich herausgestellt habe, dass die Rufanlage doch am 17. September 2018 um 19:19 Uhr und 10 Sekunden betätigt worden sei.
Diese objektiv festgestellte Abweichung von der ursprünglichen Information des Ministers wird jetzt zum Anlass genommen, die Integrität und Glaubwürdigkeit des Justizministers und das rechtmäßige Handeln der Vollzugsbediensteten in Zweifel zu ziehen. Weil sich eine Angabe als falsch erwiesen hat, fühlt sich die Landtagsopposition berechtigt, alle anderen Fakten ebenfalls anzuzweifeln. Die Medien sind begierlich auf dieses Thema aufgesprungen. Bei einer sehr begrenzten Faktenlage lässt es sich eben trefflich spekulieren. Mit subtilen Fragestellungen lassen sich Misstrauen und Skepsis gegenüber den handelnden Personen säen. Dass dabei die berufliche Integrität von Kolleginnen und Kollegen beschädigt werden kann, interessiert Politik und Medien wohl nur am Rande.
Dabei muss man doch wohl zunächst einmal fragen, ist die neue Erkenntnis der Staatsanwaltschaft Kleve eine solche von überragender Relevanz für den Ablauf und die Bewertung des Ereignisses? Nein, ist sie aus fachlicher Sicht nicht. Denn was passiert in einer Vollzugseinrichtung, in der ein Feuer ausbricht und wie war es in Kleve? Gegen 19.18 Uhr am 17. September 2018 hatten die Bediensteten spätestens Kenntnis davon, dass es in einem der Hafträume brennt. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Dutzende Gefangene die Kommunikationsanlage betätig. Was war jetzt zu tun? Es eröffneten sich zwei Lösungsansätze. Erstens konnten die Bediensteten auf die Stationen laufen, um die Ursache und den Ort des Brandes schnell ausfindig zu machen. Dies ist die allgemein übliche Variante. Zweitens hätten sie auch die Alarmierungen der Rufanlagen der Reihe nach abarbeiten können, was die Medien offenbar für richtig halten, weil sie stets bemängeln, dass der Notruf aus dem Haftraum des Amed A. offenbar ignoriert worden sei.
Die Bediensteten entschieden sich richtigerweise für die erste Variante und bereits um 19:20 Uhr, knapp eine Minute nachdem Amed A. den Notruf betätigt hatte, konnte der Brandherd ausfindig gemacht und der Haftraum geöffnet werden. Der 26-jährige Syrer hatte sich da aber bereits schwere Verbrennungen zugezogen. Hätten die Bediensteten die zweite Variante gewählt, was Politik und Medien offenbar für zwingend erachten, wären die Bediensteten vermutlich erst sehr viel später zu dem Haftraum des Amed A. gelangt, weil die Alarmierungen in der Reihenfolge ihres Eingangs abgearbeitet worden wären.
Bei der durch die Bediensteten gewählten Lösung handelte es sich folglich um die effizienteste Alternative. Wenn man Kenntnis von der Ursache einer Alarmierung hat ist es außerdem relativ belanglos, ob die Meldung ein- oder zweimal oder aber dutzendfach aufläuft. Man darf einen solchen Notruf auch ignorieren, weil der Grund für die Alarmierung bereits bekannt ist. Das Handeln der Kolleginnen und Kollegen verdient deshalb keine Kritik, sondern unzweifelhaft Lob, zumal sie im Kampf um die Rettung von Leben ihre eigene körperliche Unversehrtheit bewusst riskiert haben. Ihnen war nämlich bekannt und bewußt, dass man sich im Falle eines Brandes sehr schnell eine Rauchvergiftung zuziehen kann.
Außenstehende können sich eine solche Situation wohl kaum in ihren zahlreichen Facetten und Dimensionen vorstellen. Bei der Bewältigung einer Sicherheitsstörung wird vermehrt Adrenalin ausgeschüttet. Man befindet sich schließlich in einer nicht alltäglichen Stresssituation. Trotzdem gilt es dann, klaren Kopf zu bewahren und die richtigen Prioritäten zu setzen. Und im Falle eines Brandes heißt das, den Brandherd so schnell wie möglich lokalisieren und ggf. Notrufe aus den Hafträumen zunächst ignorieren.
Und dann müssen die Bediensteten im Kölner Stadt-Anzeiger lesen, dass Aktivisten Parallelen des Klever Brandes zum Tod von Oury Jalloh sehen, der sich in einem Dessauer Polizeigewahrsam vor 14 Jahren ereignet hat. Zugleich müssen sich die Kolleginnen und Kollegen „institutionellen Rassismus“ vorhalten lassen. Da fragt sich so mancher: „Was ist nur mit unserer Gesellschaft los? Warum bringe ich mich dienstlich engagiert ein? Warum riskiere ich eigentlich meine Gesundheit, wenn ich mir zum Dank Pflichtvergessenheit und Rassismus vorwerfen lassen muss?“
Allein Parallelen zu ziehen zwischen einem an Händen und Füssen gefesselten Gewahrsamsinsassen und einem Inhaftierten einer Vollzugsanstalt, der sich innerhalb seines Haftraumes frei bewegen kann, ist unsäglich und unzulässig. Die Ursachen für die Brandverletzungen des Amed A. sind bislang nicht definitiv geklärt. Durch die unterschwellige, tendenziöse Verquickung eines vermeintlich ungeklärten Todesfalles in Dessau mit einem Brand in der JVA Kleve wird ganz subtil der Eindruck erzeugt, die Institutionen unserer Gesellschaft handelten vielleicht nicht rechtmäßig, entwickelten ein Eigenleben und im Übrigen sei ihnen sowieso alles zuzutrauen. Für eine solche Diskreditierung eines ganzen Berufsstandes gibt es bislang keinen Grund. Sie sollte deshalb sofort beendet werden.
Dass Medien interessierten Aktivisten, die schließlich davon leben, staatliches Agieren in Zweifel zu ziehen, so breiten Raum für Spekulationen bieten, ist zwar mit Blick auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Verlages verständlich, aber journalistisch durchaus fragwürdig und gesellschaftspolitisch kontraproduktiv. Nach solchen Vorwürfen und Verdächtigungen wäre in jedem Fall ein journalistischer Faktencheck erforderlich gewesen und nicht die Skandalisierung eines Vorganges, der im Rahmen der laufenden Ermittlungen noch nicht abschließend geklärt ist.
Und dann ist da noch der Vorwurf, der Vertragsarzt der Anstalt habe nicht ausreichend informiert und dadurch verhindert, dass Amed A. als suizidgefährdet eingestuft wurde. Hier verfügt der BSBD über keine eigenen Erkenntnisse. Es empfiehlt sich deshalb, die Ermittlungsbehörde in Ruhe arbeiten zu lassen. Selbst wenn sich der Vorwurf als zutreffend erweisen sollte, würde es sich immer noch um einen individuellen Fehler handeln, der es Politik und Medien keinesfalls erlaubt, von einem System- oder gar Staatsversagen zu sprechen.
Was nun die Ursache des Brandes anbelangt, gibt es bislang kein definitives Ergebnis der Brandermittler. Deren Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Folglich bewegen sich Medien und Politik diesbezüglich im Bereich der Spekulation. Seitens des Ministeriums ist die wahrscheinlichste Ursache, nämlich die Verursachung des Brandes durch das Opfer selbst, als eine Möglichkeit angeführt worden. Theoretisch denkbar sind natürlich auch andere Entstehungsgeschichten.
Die ARD hat in einem Beitrag des Magazins Monitor vom 25. Oktober 2018 im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Vertragsarzt der Klever Anstalt den ehemaligen Rechtsbeistand des Amed A. zu Wort kommen lassen, der feststellte, dass sein Mandant durch die Erlebnisse während des syrischen Bürgerkrieges stark traumatisiert und selbstverständlich suizidgefährdet gewesen sei. Wenige Sequenzen später kommt die grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz zu Wort, die aus dem Umstand, dass Amed A. den Notruf der Kommunikationsanlage betätigte, schlussfolgert, dass der 26-jährige Syrer keinen Suizid begehen wollte.
So strickt sich halt jeder seine eigene Geschichte. Die Logik der Vermutung von Berivan Aymaz erschließt sich dem unvoreingenommenen Betrachter nicht. Warum sollen sich der Selbsttötungswunsch eines Menschen und die spätere Betätigung des Notrufes ausschließen? Bei lebendigem Leib zu verbrennen, muss man sich wohl als einen sehr schmerzhaften und qualvollen Vorgang vorstellen. Da ist es doch vorstellbar, dass jemand von dem einmal gefassten Entschluss, Suizid zu begehen, angesichts der damit verbunden Schmerzen noch vor Eintritt des Erfolges zurücktritt.
Weshalb Berivan Aymaz jedoch die Glaubwürdigkeit von Justizminister Peter Biesenbach (CDU) beeinträchtigt sieht, weil er eine zum Zeitpunkt der Information als belastbar geltende Tatsachenfeststellung übermittelte, die sich im Zuge der weiteren Ermittlungen jedoch als falsch erwies, bleibt ihre exklusive Meinung. Da wohl auch Justizminister über keine hellseherischen Fähigkeiten verfügen, können sie zwangsläufig eben auch nur den jeweiligen Stand der Ermittlungen von Verwaltung und Staatsanwaltschaft referieren.
Wenn Grüne und SPD auf dieser schmalen Faktenbasis zur Hatz auf den Justizminister ansetzen, dann hat dies mit politischer Seriosität nicht mehr viel zu tun. Wer den unbedingten Drang zur Aufklärung verspürt, der soll dann eben die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betreiben. Dafür ist dieses parlamentarische Instrument vorgesehen. Den Justizminister politisch für den Klever Brand in Verantwortung zu nehmen und zum Rücktritt aufzufordern, ohne tragfähige Fakten auf den Tisch legen zu können, ist eine Strategie, die vorrangig parteipolitisch motiviert sein dürfte. Mit sachgerechter Politik für die Menschen in Nordrhein-Westfalen und damit auch für jene Klever Strafvollzugsbedienstete, die bis heute der Überzeugung sind, am Tag des Brandes einen guten Job gemacht zu haben, hat dies allerdings herzlich wenig zu tun.
Die Opposition sollte es zumindest unterlassen, das rechtmäßige Handeln der staatlichen Institutionen permanent in Zweifel zu ziehen. Wer das tut, ohne dafür belastbare Fakten vorweisen zu können, der beschädigt letztlich die rechtsstaatliche Ordnung unseres Gemeinwesens. Der trägt aber auch zur Verbreitung der Meinung bei, Politik sei ein sehr schmutziges Geschäft, bei dem es vorrangig um die Befriedigung der Interessen der eigenen Klientel gehe. Parteien, die sich selbst mit Vorbehalten, Skepsis und Misstrauen begegnen, dürfen sich dann nicht wundern, dass sich ein Großteil der Wählerschaft angewidert abwendet oder ihr Kreuz bei politischen Alternativen macht.
Eines sollten sich Politik und Medien jedoch merken. Von Justizversagen oder Justizskandal zu sprechen, verbietet sich, so lange dafür keine belastbaren Fakten benannt und vorgelegt werden können. Für den BSBD steht jedenfalls fest: Die Bediensteten der JVA Kleve haben nach bisherigem Erkenntnisstand am 17. September 2018 besonnen, schnell, zielgerichtet und sachgerecht reagiert und gehandelt. Sie haben die Grundsätze der Eigensicherung großzügig ausgelegt und so ihre eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt, um Menschenleben zu retten. Dafür haben sie Dank und Anerkennung verdient und keine unterschwelligen Verdächtigungen.
Friedhelm Sanker