Bauen im Vollzug: Eher Fluch als Segen?
Seit Bestehen der Bundesrepublik war das Bauen im Vollzug und noch mehr die bauliche Instandhaltung ein Bereich, der oftmals sehr stiefmütterlich behandelt worden ist. Die Politik hat lange geglaubt, das läge an der schwerfälligen staatlichen Bauverwaltung. Je größer der neoliberale Einfluss auf politische Entscheidungen wurde, desto stärker äußerte sich der politische Wunsch, auch den Baubereich mit den Mitteln der Privatwirtschaft auf Effizienz zu trimmen.
Diesem Gedanken verdankt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW letztlich seine Existenz. Doch seit Schaffung war der Betrieb immer wieder mit scharfer Kritik konfrontiert. An Beispielen aus dem Vollzug lässt sich die Berechtigung dieser Kritik anschaulich darstellen.
Der Vollzug weist derzeit noch grundlegende Kapazitätsprobleme auf, die in ihren Auswirkungen während der Corona-Pandemie lediglich überlagert wurden. Viele Haftplätze sind marode und müssen ersetzt werden. Daneben besteht allerdings auch ein Bedarf nach Ausweitung des Haftplatzbestandes. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in vielen Einrichtungen größere Bauvorhaben realisiert werden.
Speziell beim Bauen im Bestand ergeben sich die meisten Unzuträglichkeiten, weil die Bautätigkeit mit dem Tagesablauf einer Vollzugseinrichtung koordiniert werden muss. Treten in diesem Bereich unvorhergesehene, ungeplante Ereignisse auf, ist Ärger vorprogrammiert. Besonders hoch klettert der Unmutspegel, wenn auftretende Mängel als leicht vermeidbar anzusehen sind, beteiligte Akteure es aber oftmals am notwendigen Fingerspitzengfühl mangeln lassen.
Neben dem Neubau von Vollzugseinrichtungen werden gegenwärtig in zahlreichen Vollzugsanstalten Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Der Bedarf ist erheblich angewachsen, weil immer noch Einrichtungen betrieben werden, die noch im „Kaiserreich“ errichtet wurden. Die Infrastruktur ist vielfach als überholt anzusehen und wird den aktuellen Ansprüchen, die an moderne Gefängnisbauten gestellt werden müssen, längst nicht mehr gerecht. Und dann sind da noch die Mindestanforderungen, die an Sicherheitstechnik und Brandschutz gestellt werden müssen, die bauliche Anpassungen erzwingen.
Die von einem auf den anderen Tag erfolgte Teilschließung der JVA Münster ist hierfür ebenso ein Beispiel wie die Sozialtherapeutische Anstalt in Gelsenkirchen. Die Bausubstanzen dieser Einrichtungen können ohne Übertreibung als marode beschrieben werden. In Münster ist es nach langer Suche endlich gelungen, einen geeigneten Standort für einen Ersatzbau zu finden. In Bochum sollten die vorhandenen Dienstwohnungen abgerissen werden, um Platz für den Neubau einer fortschrittlichen Sozialtherapie zu schaffen. Die Entscheidung fiel 2008, nachdem die Dienstwohnungsinhaber mit beträchtlichem finanziellen Aufwand zur Aufgabe der Wohnungen bewegt worden waren.
Wer nun gedacht hätte, der Neubau würde zügig voranschreiten, der sah sich getäuscht. Es dauerte bis 2011, ehe die Dienstwohnungen an der Krümmede abgerissen wurden. Dann passierte weitere sechs Jahre rein gar nichts. Das Gelände lag brach!
Erst am 02.11.2017 kam es im Rahmen einer feierlichen Zeremonie zum ersten Spatenstich. Am 01.09.2020 war es endlich so weit: Der Umzug konnte erfolgen und damit die neue Sozialtherapie in Betrieb gehen. Wer allerdings gehofft hatte, seinen Dienst ohne marode Bausubstanz und ohne Ausfall technischer Einrichtungen verrichten zu können, der wurde enttäuscht.
In der Zeit vom 01.09.2020 bis zum 01.08.2021 wurden in dem Neubau nicht weniger als 120 Mängel festgestellt. Sie reichen von kleineren Mängeln, dass sich Türen schlecht oder gar nicht schließen lassen, bis hin zu größeren Schäden, dass Gebäudeteile von Wassereinbrüchen durch Regen betroffen sind. Natürlich kann man bei großen Bauvorhaben nicht erwarten, dass keinerlei Qualitätsmängel auftreten, die aber können in aller Regel schnell und umfassend beseitigt werden. In Bochum ist es allerdings so, dass nach einjährigem Betrieb an einigen Stellen bereits der Putz von den Wänden rieselt.
Auch der Neubau des Pforten- und Verwaltungsgebäudes der JVA Bochum, gerade einmal seit April 2021 in Betrieb, bildet da keine Ausnahme. In einem Treppenhaus lösen sich die Sockelfliesen vom Untergrund. Dabei muss doch allen Beteiligten bewusst sein, dass der Bau einer Vollzugseinrichtung besondere Anforderungen an die Qualität stellt, weil hier nicht nur wohlmeinende Menschen untergebracht werden. Über mehrere Wochen funktionierte der Fahrstuhl nicht, in einem Untergeschoss drang Wasser durch die Wände, ein besonders eklatanter Baumangel.
Und dann ist da noch der Besuchsbereich, an dem sich zahlreiche Firmen ausprobiert haben, ob so ein Vorhaben auch unter widrigsten Bedingungen realisiert werden kann. Die jahrelangen Bauversuche erklären sich vielleicht daraus, dass man das erneuerungsbedürftige Dach nicht mit Realisierungspriorität versah, sondern es entfernte und den Bau notdürftig mit einer Plane vor dem Eindringen von Regenwasser sicherte. Darunter wurde fleißig gebaut. Leider war die Plane den Witterungsverhältnissen nicht gewachsen, sie riss. Regenwasser konnte in das Gebäude eindringen. Obwohl das Dach faktisch nicht vorhanden war, wurde der Innenausbau planmäßig fortgeführt. Nach langen fünf Monaten war das Dach endlich wieder geschlossen. Eine Bestandsaufnahme der feuchtigkeitsbedingt eingetretenen Schäden ergab, dass die durchnässten Bereiche bereits angefangen hatten zu schimmeln. Der fast fertiggestellte Innenausbau musste einschließlich der Isolierung entfernt und erneuert werden.
Baumaßnahmen im laufenden Betrieb einer Justizvollzugsanstalt sind immer mit Problemen verbunden. Der Vollzug kann regelmäßig keine frei zugängliche Baustelle garantieren, dies muss bei den Planungen berücksichtigt werden. Je nach Größe der Bauvorhaben ist mitunter eine 24-stündige Bewachung bzw. Bestreifung notwendig. Sämtliche Handwerker müssen beim Betreten und Verlassen einer Anstalt kontrolliert und während ihres Aufenthalts begleitet werden. All diese Aufgaben binden Personal. Personal, das eigentlich für vollzugliche Aufgaben verfügbar sein sollte. Daher sind zwangsläufig alle Kolleginnen und Kollegen einer Einrichtung direkt oder mittelbar von Baumaßnahmen betroffen. Gesellt sich durch mangelhafte Planung noch die ein oder andere Bauverzögerung hinzu, wird es bitter, weil das für den Bau abgestellte Personal längerfristig gebunden wird. Speziell die dargestellten, vielfach vermeidbaren Probleme sind sehr ärgerlich, weil die ausführenden Firmen zwar oftmals zur kostenfreien Behebung der Mängel verpflichtet sind. Doch auch während der Behebung von Mängeln wird Personal gebunden, das für seine eigentlichen Aufgaben nicht zur Verfügung steht.
Bereits vor Jahren hat der BSBD NRW vorgeschlagen, endlich eine Musterplanung für Vollzugseinrichtungen zu realisieren, mit der die geforderten Qualitätsanforderungen definiert und die Ausführung standardisiert wird. Der preußische Gefängnisbau kannte diese Standardisierung bereits. Wir sind zwischenzeitlich aber wieder dabei, aus jeder Vollzugseinrichtung ein bauliches Unikat zu machen, als gelte es einen Architekturwettbewerb zu gewinnen.
Diese Form des Bauens ist fehleranfällig und muss die geforderte Qualität immer neu bestimmen. Das ist unnötige Arbeit, die sich der BLB NRW sparen könnte, wenn es eine Musterplanung gäbe. Dann müsste für den Einzelfall nur ein geeignetes Grundstück gesucht werden, sich die Bauplanung aber nicht nach den Gegebenheiten des verfügbaren Areals richten.
Dies wäre eine qualitativ überzeugende und dazu noch kostensparende Möglichkeit, Vollzugseinrichtungen zu planen und zu realisieren. Auch die Justizadministration sollte nach unserem Dafürhalten auf ein entsprechendes Verfahren drängen oder aber zumindest den betroffenen Einrichtungen das für die Baumaßnahmen erforderliche Personal zusätzlich zur Verfügung stellen, damit die Qualität des Vollzuges nicht unter baulichen Aktivitäten zu leiden hat. Bauen kann nicht länger auf dem Rücken und zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen erfolgen, wenn sparsamere Alternativen möglich und realisierbar sind.