Auf ein Wort: Ist Schwarz-Grün das politische Zukunftsprojekt für NRW?
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Landtagswahl ist vorüber, der politische Staub hat sich gelegt. Immer noch stehen wir überrascht vor dem Ergebnis. Die Demoskopie hatte uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und Sozialdemokratie um die Position als stärkste politische Kraft im Lande prognostiziert. Nicht das erste Mal lagen die Meinungsforscher damit ziemlich daneben.
Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Hendrik Wüst fuhr mit 35,7 Prozent einen klaren Sieg ein, während Thomas Kutschaty mit seiner SPD 26,7 Prozent erreichte und das historisch schlechtestes Ergebnis verkraften musste.
Die Meinungsforscher verfehlten das tatsächliche Endergebnis mit ihren Prognosen zum wiederholten Male sehr deutlich. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Demoskopie beabsichtige mit Ihren Vorhersagen, unterschwellig Einfluss auf die Willensbildung der Wählerinnen und Wähler zu nehmen.
Richtig Grund zur Freude hatten die Grünen, die ihren Stimmenanteil fast verdreifachen konnten und künftig mit 39 Abgeordneten im NRW-Landtag vertreten sind. Die gute Performance der Spitzengrünen im Bund hat vermutlich erheblich zu diesem guten Ergebnis beigetragen.
Katerstimmung herrschte bei der FDP, die trotz solider Arbeit in der bisherigen Landesregierung die Mehrzahl ihrer einstigen Wähler verlor. Die FDP wurde offenbar für das oftmals widersprüchliche Agieren ihrer Schul- und Bildungsministerin in der Corona-Pandemie von den Wählerinnen und Wählern abgestraft.
In Nordrhein-Westfalen zeichnet sich wohl eine schwarz-grüne Koalitionsregierung ab. CDU und Grüne verfügen im künftigen Landtag über eine satte Mehrheit der Abgeordnetensitze. Die Sondierungen sind angelaufen, konkrete Verhandlungen werden wohl bald folgen.
Ministerpräsident Hendrik Wüst hat die Chancen genutzt, in den Monaten nach der Ablösung des seinerzeitigen CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Armin Laschet ein eigenes Profil zu entwickeln. Dass er die CDU mit einem Vorsprung von 9 Prozentpunkten vor der SPD ins Ziel brachte, ist Beleg für den Vertrauensvorschuss, den Rheinländer und Westfalen ihm gewährt haben. Jetzt ist es an ihm, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.
Der BSBD NRW hat immer großen Wert darauf gelegt, mit allen politischen Kräften in NRW gute Arbeitsbeziehungen zu pflegen, um die Interessen der Strafvollzugsbediensteten unausgesetzt und wirksam vertreten zu können. Vermutlich werden wir uns auch auf einen Wechsel an der Spitze des Ministeriums einstellen müssen. Der bisherige Amtsinhaber, MdL Peter Biesenbach, mit dem wir seit mehr als zwanzig Jahren vertrauensvoll und sehr erfolgreich zusammengearbeitet haben, wird möglicherweise nicht erneut als Justizminister für eine neue Legislaturperiode zur Verfügung stehen.
Dann ist auch nicht klar, welche der beiden Parteien Anspruch auf das Ministerium der Justiz erheben wird. Der BSBD NRW ist jedoch für jeden denkbaren Fall gut gerüstet. Trotz dieser positiven Ausgangsbedingungen werden die kommenden Jahre harte Jahre für die Vertretungen von Arbeitnehmerinteressen werden. Die Politiker aller Parteien versuchen bereits seit Monaten, uns auf bevorstehende Wohlstandsverluste vorzubereiten. Und es ist ja richtig, dass uns in kurzer Zeit etliche Krisen heimgesucht haben, die vom Staat hohe Investitionen verlangen.
Die Corona-Pandemie hat hohe Aufwendungen für die Beherrschung des Infektionsgeschehens verursacht, wenn wir an Masken, Impfstoffe und die Krankhausfinanzierung denken. Aber auch die Wirtschaft musste massiv mit Finanzhilfen gestützt werden. Um ein pandemiebedingtes Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern, sprang der Staat mit Kurzarbeitergeld ein. Der Überfall Putins auf die Ukraine treibt die Energiepreise und damit die Inflation in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Die Null-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank bewirkt zudem, dass die Kaufkraft unserer Ersparnisse schmilzt wie der Schnee in der Sonne.
Zwischenzeitlich haben uns 800.000 Menschen aus der Ukraine erreicht, die vor Putins Schergen geflohen sind. Auch deren Unterhalt wird erhebliche Steuergelder erfordern. Und wenn der Krieg ein Ende gefunden hat, dann wird die Ukraine Unterstützung benötigen, um zerstörte Wohnungen und Infrastruktur wieder aufzubauen. Deutschland wird sich da selbstverständlich nicht entziehen können. Die Schäden, von den irrwitzigen Opferzahlen einmal abgesehen, werden soeben von der russischen Soldateska in die Höhe getrieben. Größtmöglichen Schaden anzurichten, scheint ein Kriegsziel Putins zu sein.
Dann ist da noch das 100-Milliarden-Aufbauprogramm für die Bundeswehr, die endlich in die Lage versetzt werden soll, unser Land tatsächlich verteidigen zu können. Bei all diesen Finanzierungserfordernissen ist auch noch der Klimawandel zu bewältigen, der ein Schwerpunkt der Bundespolitik ist, ganz zu schweigen von der notwendigen Digitalisierungsoffensive und der Modernisierung unserer maroden Infrastruktur.
Unter diesen Rahmenbedingungen dürfte der Erhalt des Status quo schon ein gewerkschaftlicher Erfolg sein. Strukturelle Verbesserungen für uns auf den Weg zu bringen und durchzusetzen, das lässt sich absehen, wird richtig schwer werden. Wir werden nur erfolgreich sein können, wenn wir unsere gemeinsamen Ziele geschlossen angehen. Die Stärke des BSBD NRW war und ist es, geschlossen zu agieren. Diese Gemeinsamkeit versetzt unsere Landesleitung dann in die Lage, für unsere Interessen zu streiten und die Politik mit Sachargumenten zu überzeugen.
In Gespräche und Verhandlungen mit der Politik einzutreten, um Verbesserungen für die Kolleginnen und Kollegen zu erreichen, bedeutet immer, dicke Bretter zu bohren. Bei der Opposition Verständnis für vollzugliche Anliegen zu finden, ist relativ leicht. Bei der jeweiligen Regierung sieht es da schon anders aus. Die Landesleitung trägt Forderungen an die Politik heran, von deren Berechtigung sie zutiefst überzeugt ist. Die Regierungsvertreter sind zunächst meist skeptisch, weil sie keine Präzedenzfälle schaffen wollen. Diese Positionen anzunähern, um ein positives Ergebnis zu erzielen, nimmt oft erhebliche Zeit und beträchtlichen Aufwand in Anspruch.
In der ablaufenden Legislaturperiode ist es dem BSBD NRW gelungen, die Landesregierung davon zu überzeugen, den von uns mit 1.000 Stellen bezifferten Stellenfehlbestand auszugleichen. Bis 2017 hat die Landesleitung mit dieser Forderung bei allen Landesregierungen auf Granit gebissen. Erst mit dem Amtsantritt von MdL Peter Biesenbach, dem aktuellen Amtsinhaber, änderte sich die Lage. Aus Oppositionszeiten war ihm die prekäre Personalsituation des Vollzuges hinreichend bewusst und immer gegenwärtig. Diese Erkenntnis hatte er aus zahlreichen Gesprächen mit der Landesleitung gewonnen. Im Laufe der Zeit erkannte er, dass der BSBD NRW die Lage nicht künstlich dramatisierte, sondern berechtigterweise mehr Personal forderte.
Sehr schnell nach Amtsantritt entsprach er der Forderung des BSBD NRW, setzte sich im Kabinett für dieses Anliegen und dessen Etatisierung ein, so dass die benötigten Stellen dem Vollzug nunmehr zur Verfügung stehen. Es handelt sich dabei immerhin um eine Maßnahme, die dem Land NRW jährlich zusätzlich rd. 50 Millionen Euro kostet. An diesem Beispiel ist erkennbar, dass Verhandlungen erfolgversprechend sind, wenn Forderungen ihre Berechtigung haben und die Verhandlungspartner einander vertrauen.
In Einzelfällen erreichen uns Hinweise, es müsse im Vergleich zu anderen Laufbahnen für eine bestimmte Laufbahn mehr getan werden. Der Hinweisgeber geht dabei meist von seiner eigenen Situation und seiner subjektiven Einschätzung aus. Dann wird beklagt, dass man ein Beförderungsamt noch nicht erreicht habe, obwohl ein dienstjüngerer Kollege einer anderen Laufbahn mit geringeren Einstellungsvoraussetzungen ein solches Amt bereits bekleide.
Solche Fälle gibt es, wer wollte das bestreiten. Aber für die Vergabe der Beförderungsstellen ist unter Beteiligung der Personalvertretungen von Gesetzes wegen der Dienstherr zuständig. Für dessen Entscheidungen trägt der BSBD NRW keine Verantwortung. Wir unterstützen Kolleginnen und Kollegen, die sich u.a. gegen Beförderungsentscheidungen wenden, allerdings sehr effektiv mit unserem Rechtsschutz.
Zu vielen Vertreterinnen und Vertretern der künftigen Regierungsparteien unterhält die Landesleitung des BSBD NRW verlässliche Arbeitsbeziehungen, die Grundvoraussetzung dafür sind, im künftigen Regierungsbetrieb den erforderlichen politischen Handlungswillen für die Bedürfnisse des Strafvollzuges und seiner Bediensteten zu erzeugen. Sehr bald nach der Konstituierung der neuen Landesregierung wird die Landesleitung sind um Gesprächstermine bemühen, um die Erwartungshaltung des Vollzuges und die seiner Bediensteten an die neuen Entscheidungsträger heranzutragen.
Schwarz-Grün startet, ob die beiden Parteien sich nun als Zukunftsprojekt sehen oder nicht, mit der schweren Hypothek beträchtlich steigender Staatsausgaben. Man benötigt keine prophetischen Gaben, um zu erkennen, dass die Landesregierung den Euro künftig zweimal umdrehen muss, bevor sie ihn ausgibt, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein. Die dienstälteren Kolleginnen und Kollegen können sich noch gut an die 1990er Jahre erinnern, in denen jeder Haushalt veritable Sonderopfer für den Personalbereich enthielt.
Aus gewerkschaftlicher Sicht wird es jetzt darauf ankommen, dass wir in diesen schweren Zeiten Geschlossenheit und Zusammenhalt praktizieren. Erstrebens- und Wünschenswertes wird vielleicht nicht mehr in jedem Fall realisierbar sein, umso wichtiger ist es, Erreichtes zu bewahren, aber auch Notwendiges durchzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass auch mit der künftigen Landesregierung einiges möglich sein wird. Tragen Sie bitte dazu bei, dass wir geschlossen als starke Einheit auftreten, um gemeinsam für unsere spezifischen Interessen zu kämpfen.
Seien Sie herzlich gegrüßt
Ihr
Ulrich Biermann
Landesvorsitzender