Was ist nur in unsere Politiker gefahren?
Konfusion, wohin man schaut!
Nicht nur wenn es um die Beherrschung der Pandemie geht, erweist sich die Politik als handlungsunwillig oder -unfähig. Eine solch geballte Ladung Ignoranz, ideologische Sturheit und zunehmend resignative Inkompetenz, wie sie derzeit zutage tritt, war selten zu beobachten. Und dieses Phänomen scheint viele Parteien gleichermaßen ergriffen zu haben.
Allein in den zurückliegenden Wochen sind mehr oder minder bedeutende Protagonisten aller Couleur auffällig geworden. Die CDU/CSU hat es besonders heftig getroffen, weil etliche ihrer Abgeordneten die Engpässe bei Masken und Schutzausrüstung im vergangenen Jahr nutzten, um die eigene Vermögensbildung auf ein neues Level zu heben. Aber auch SPD und Grüne wollen da nicht zurückstehen. Sie drängen mit Vorschlägen und Auffassungen an die Öffentlichkeit, die den neutralen Beobachter ungläubig staunend zurücklassen. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, wollen wir einige dieser Ereignisse Revue passieren lassen.
Zunächst ist da die Politik der Bundeskanzlerin, die mit ihrem Grundsatz „Auf Sicht fahren!“ notwendige und eilbedürftige Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie unterlassen hat. Die Impfstoffbeschaffung wurde nach Brüssel delegiert und zudem wurde auch nicht darauf gedrängt, Vakzine zeitnah und in ausreichender Menge zu bestellen.
Zwar war nicht absehbar, ob alle in der Entwicklung befindlichen Vakzine eine Zulassung erhalten würden, doch warum wurde es unterlassen, von allen vielversprechenden Impfstoffentwicklungen jeweils ausreichende Mengen für die gesamte EU-Bevölkerung zu ordern? Man hätte dann vermutlich zu viele Vakzine gehabt, doch hätte man diese an Länder verschenken können, die selbst Schwierigkeiten haben, Impfstoffe zu finanzieren. Dies wäre auch für uns von Wichtigkeit, denn wir werden uns künftig außerhalb des Landes nur dann sicher bewegen können, wenn auf der ganzen Welt eine Herdenimmunität erreicht ist.
Gescheitert ist ein solcher Ansatz daran, dass einigen Mitgliedsstaaten das Geld für den Ankauf der Vakzine zu schade war. Aber hier hätte die Bundeskanzlerin einschreiten und ein Machtwort sprechen müssen. Selbst wenn Deutschland die Vakzine allein bezahlt hätte, wäre das immer noch kostengünstiger gewesen, als sich jetzt von Shutdown zu Shutdown zu hangeln. Und - ganz wichtig – die EU hätte ihr Ansehen in der Welt aufpolieren und Handlungsfähigkeit demonstrieren können. In diese Lücke stoßen jetzt Russland und China, die Vakzine als politische Waffe einsetzen.
So ist Serbien gegenwärtig so gut ausgestattet, dass es auch Ausländern Impfungen anbieten kann. Und in Serbien steht so viel Impfstoff zur Verfügung, dass jeder das ihm genehme Vakzin frei wählen kann. Das ist etwas, an das wir in Deutschland noch lange nicht denken können.
Im Umgang mit dem Virus kommt es auf Geschwindigkeit an, das musste der Politik eigentlich klar gewesen sein. In Deutschland erreichen wir gegenwärtig ein beschämendes Impftempo. Wenn wir Pech haben, kommen uns die erwartbaren weiteren Mutationen zuvor und machen die jetzt verfügbaren Vakzine unwirksam. Eine Rückkehr in ein normales Leben würde in diesem Fall in weite Ferne rücken.
Die Verantwortung für die missliche Situation im Land laden die Bürgerinnen und Bürger vornehmlich bei der CDU/CSU ab. Von einem Wählerzuspruch von 35 Prozent noch vor wenigen Wochen sind die beiden Parteien auf 25 Prozent abgestürzt. Der Ausgang der diesjährigen Bundestagswahl ist damit mehr als ungewiss.
Die Konferenzen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, deren Inhalte fast ohne Zeitverzug an Medienvertreter durchgestochen werden und die in den meisten Fällen keine einheitliche Festlegung von Maßnahmen erbringen, tun ihr Übriges, auch noch den letzten Rest an Vertrauen in die Politik zu zerstören.
Jetzt erweist sich die aktuelle Verteilung der Verantwortung auf Bund und Länder nach dem Infektionsschutzgesetz als ungeeignet, eine Pandemie erfolgreich zu managen. Nach der Pandemie wird eine neue Föderalismusreform notwendig sein, um die gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass der Bund erforderliche Maßnahmen in Krisensituationen auch tatsächlich durchzusetzen vermag.
Von der aktuellen Entwicklung profitieren zuallererst die Grünen. Ohne große Anstrengung gelten sie vielen Wählerinnen und Wählern als wahrer Hort von Vernunft und Stabilität. Die Ursachen hierfür liegen vermutlich nicht so sehr in der Analyse ihres Wahlprogramms und dessen Auswirkungen auf jeden Einzelnen, sondern sind wohl eher in dem subjektiven Eindruck von Ruhe und Besonnenheit bei Baerbock, Habeck, Kretschmann und Co. begründet. Dabei gibt es auch bei den Grünen Entwicklungen, die man als mündiger Bürger noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte.
Zunächst ist hier Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU zu nennen, der im vergangenen Jahr noch gefeiert wurde. Damals verdeckte der sommerliche Rückgang der Inzidenzwerte noch die mangelnde Einsicht in das von der Pandemie Geforderte. Sein politischer Stern sank jedoch schnell. Und da er beim politischen Aufstieg rigoros vorgegangen war, sah es jetzt mit der Unterstützung durch Parteifreunde auch ziemlich mau aus.
Als Spahn im Frühjahr 2020 merkte, dass Deutschland über zu wenig Masken verfügte, beschritt er ungewöhnliche Beschaffungswege und kaufte auch bei Bekannten ein. Dies ist ein Verhalten, von dem Beamte kraft Gesetzes befreit werden, um Interessenkonflikte aus guten Gründen zu vermeiden. Es mag durchaus sein, dass der Minister die besten Absichten verfolgte. Trotzdem hatte dieses Vorgehen ein Geschmäckle!
Zu allem Überfluss gesellte sich zum Mangel an Fortune auch noch die Jagdleidenschaft der Medien, die plötzlich anfingen, seine persönliche Vermögensbildung zu hinterfragen. Zwar konnten ihm bislang keine rechtlich fragwürdigen Verfehlungen nachgewiesen werden, doch ist der öffentliche Eindruck verheerend, wenn man bezichtigt wird, von Beginn der politischen Karriere an stets auch auf den eigenen finanziellen Vorteil bedacht gewesen zu sein. Nach Recherchen von t-online brachte es Jens Spahn innerhalb von achtzehn Jahren vom Bankkaufmann-Azubi zum Millionär. Seinen politischen Aufstieg soll er dabei immer mit persönlichen Investments verknüpft haben. Es hat sich augenscheinlich ausgezahlt.
Der einstige Hoffnungsträger der Partei ist gegenwärtig allerdings ziemlich isoliert. Er sieht sich zudem auch noch Angriffen des Koalitionspartners ausgesetzt, ohne dass die Kanzlerin eingreift. So schnell wie sich sein Aufstieg zum stellvertretenden CDU-Vorsitzenden vollzogen hat, so schnell könnte es auch in die entgegengesetzte Richtung gehen.
Die geringe Verfügbarkeit von Corona-Impfstoffen und die zu langsame Schnelltest- und Maskenbeschaffung lastet die Opposition vorrangig dem zuständigen Fachminister Jens Spahn an.
Völlig zur Unzeit für die Unions-Parteien wurde bekannt, dass sich Abgeordnete und ein ehemaliger Minister an der Beschaffung von Masken persönlich bereichert haben sollen. Für die Vermittlung von Masken kassierten sie sechsstellige Beträge. Ob sie damit Straftatbestände verwirklicht haben, prüfen gegenwärtig die Strafverfolgungsbehörden.
Nikolas Löbel, Mark Hauptmann (beide CDU) sowie Georg Nüßlein und Alfred Sauter (beide CSU) haben sich vermutlich in erheblichem Umfang an der Corona-Schutzmaskenbeschaffung bereichert. Alle vier haben ihre Parteien zwischenzeitlich verlassen. Das Zutrauen der Bürger in die Verlässlichkeit solider Regierungsarbeit ist jedoch schwer beschädigt. Obwohl Abgeordnete, ohne spezielle Kompetenzen und Fähigkeiten nachweisen zu müssen, recht ordentlich entschädigt werden, neigen viele dazu, sich durch Nebentätigkeiten noch ein beträchtliches Zubrot zu verdienen. Wenn diese Nebeneinnahmen aber zu Lasten des Steuerzahlers gehen, dann ist der politische Skandal perfekt. Und die CDU/CSU wird Mühe haben, den entsetzlichen Eindruck dieser Verfehlungen bis zur Bundestagswahl zu neutralisieren.
In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die linke Identitätspolitik kritisiert und mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt angemahnt. Seine Kritik bezog er darauf, dass die Debatte in seiner Partei, der SPD, völlig schieflaufe, wenn es immer nur um pro oder contra, um das Ihr und das Wir gehe. Nach seinem Verständnis müsse eine Volkspartei Bewegungen integrieren und nicht Themen ignorieren, die für die klassische Kernwählerschaft der Partei von großer Bedeutung seien. Zudem hatte Thierse der Auffassung widersprochen, dass sexuelle oder andere Minderheiten selbst definieren dürfen, was für sie richtig und gegebenenfalls unerträglich ist, statt sich einem offenen und kontroversen Dialog auszusetzen.
Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und ihr Stellvertreter Kevin Kühnert zeigten sich beschämt über diese Form des Umgangs der Partei mit queeren Menschen, sie kritisierten mangelnde Sensibilität und distanzierten sich nachdrücklich von „rückwärtsgewandten“ Genossinnen und Genossen. Wolfgang Thierse forderte die Parteispitze daraufhin auf, ihm öffentlich mitzuteilen, ob sein Verbleiben in der Partei noch wünschenswert sei.
Danach brach ein Sturm der Entrüstung über die Parteiführung herein. Peter Brandt, Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, bemängelte, dass sich Esken und Kühnert in ihrer „Scham“ gegenüber Thierse eigentlichen von einem erheblichen Teil der SPD-Mitglieder distanziert hätten. Der SPD fehle einfach der politische Kompass.
Die Süddeutsche Zeitung beanstandete, dass die SPD nicht mehr in der Lage sei, unterschiedliche Strömungen unter ihrem Dach zu integrierten. Die SPD sei wieder einmal vom alten Übel der Linken befallen, das Trennende statt des Gemeinsamen zu betonen. Wer aber selbst moderat Andersdenkende ausgrenze, der könnte bald selbst auf dem Weg in die Geschichte sein.
Der grüne Berliner Justizsenator Dirk Behrendt ist schon öfter mit eigenwilligen Einschätzungen und Entscheidungen aufgefallen. Jetzt generiert er sich als Schutzpatron linker Gewalttäter. Der Eigentümer des besetzten Hauses Rigaer Straße 94 hatte beim Kammergericht rechtskräftig durchgesetzt, sein Eigentum nach fünf Jahren betreten zu dürfen. Das Verwaltungsgericht sprach ihm außerdem Polizeischutz zu, weil er von der Szene massiv bedroht wird.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) wollte die Begehung Anfang März 2021 ermöglichen, doch Behrendt legte sein Veto ein. Er gab vor, den Fall noch einmal rechtlich prüfen zu müssen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sah sich nicht in der Lage, ein Machtwort zu sprechen.
Den Grünen geht es augenscheinlich um ihre Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg. Behrendt ist hier 2011 als Direktkandidat mit sagenhaften 49,8 Prozent gewählt worden. Das linksextreme geht hier nahtlos in das grüne Milieu über. Die Rigaer Straße ist das Mekka der Szene, das nicht angetastet werden darf.
Dummerweise muss, wer hier politisch reüssieren will, Gewalt in Kauf nehmen. Viele Täter verschanzen sich in Nummer 94 und werden dorthin von der Polizei nicht verfolgt. Im Jahr 2019 wurden auf einer Strecke von nur 200 Metern insgesamt 101 Straftaten registriert, darunter Körperverletzung, Rauschgifthandel und Diebstahl. Die Strafverfolgung führte zu lediglich einer Verurteilung. Alle anderen Täter konnten nicht ermittelt werden.
Der Justizsenator setzt sich nicht zum ersten Mal über Gerichtsentscheidungen, gängige Regeln und Vereinbarungen mit dem Koalitionspartner hinweg. So verstieß er im Dezember 2020 bei der Beförderung von Richtern gegen entgegenstehende Rechtsprechung. Im Jahr 2017 ernannte er die Polizeivizepräsidentin Koppers zur Generalstaatanwältin, obwohl sie der Köperverletzung im Amt verdächtig war. Im September 2020 erließ Behrendt entgegen getroffener Absprachen im Alleingang die Kopftuch-Erlaubnis für angehende Richterinnen und Staatsanwältinnen in Gerichtssälen.
Ein Justizsenator, der rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen nicht als verbindlich erachtet, ist nicht besser als autokratische Regierungen, die in ihren Ländern den Rechtschutz abbauen. In fast allen Bundesländern hätte eine solche Missachtung der Gerichte zum Rücktritt des Justizsenators geführt, nicht so in Berlin.
Der ein oder andere bürgerliche Wähler wird angesichts solchen Verhaltens wohl doch ins Grübeln kommen, ob Deutschland unter grüner Führung gut regiert würde. Zur Selbstreinigung ist die Partei, wie sich am Berliner Beispiel erweist, offenbar weder willens noch in der Lage.
In allen Parteien gibt es sie, die Schmuddelecken, die man Besuchern und vermutlich auch Wählerinnen und Wählern nicht so gerne zeigt. Parteien, die allerdings antreten, um Deutschland künftig gut zu regieren, die müssen sich mit ihren Schmuddelecken befassen und sie beseitigen, wenn sie für breite Wählerschichten der politischen Mitte wählbar sein wollen.
Friedhelm Sanker