Mit Geschwindigkeit und den richtigen Prioritäten aus der Pandemie
In den letzten Monaten hat der einstige Organisationsweltmeister Deutschland im Umgang mit der Pandemie ein klägliches Bild abgegeben. Das ist eine bittere Erkenntnis, die erheblich am Selbstbewusstsein der Deutschen kratzt. Die Menschen sehen daher nicht mehr ein, dass der Shutdown die einzige Möglichkeit sein soll, die Infektionen in der Corona-Pandemie unter Kontrolle zu halten.
Sie sind pandemiemüde und erwarten einen Ausweg. Diese Ausfahrt aus der Sackgasse zeichnet sich seit Beginn des Monats in Form von ausreichend verfügbarem Impfstoff ab. Die Chance, die bisherigen Mängel vergessen zu machen, sollte die Politik beherzt nutzen.
Zur Verimpfung der Impfstoffe sind Impfzentren eingerichtet worden. Zahlreiche Experten sind der Auffassung, dass ambitionierte Ziele allein mit diesen Zentren nicht zu erreichen sind. Mit 170.000 Impfungen liegt der tägliche Spitzenwert weit unterhalb jener Grenze, die erreicht werden müsste, um eine nennenswerte Anzahl von Menschen in überschaubarer Zeit zu immunisieren und der Pandemie so ihren Schrecken zu nehmen. Allein die Einbeziehung der ca. 50.000 Haus- und Betriebsarztpraxen böte die Gewähr, täglich die Millionenschwelle bei den Impfungen zu überschreiten.
Die Überbürokratisierung des Impfverfahrens ist zudem ein beträchtliches Handikap, um die verfügbaren Impfstoffe schnell zu verimpfen. Außerdem wurde versäumt, die ersten beiden Monate des Jahres, als nur wenig Impfstoff zur Verfügung stand, für die Aufklärung und Vorbereitung der Menschen zu nutzen. Dabei ist Schnelligkeit das, was jetzt gefordert ist.
Die in diesem Jahr anstehenden Wahlen sind ein erhebliches Risiko für die Politik. In den zurückliegenden Monaten ist viel Vertrauen verlorengegangen. Für die politisch Verantwortlichen kann dies nur heißen: Ab jetzt muss geliefert werden. So schnell wie möglich sollte eine möglichst große Anzahl von Menschen die erste Impf-Dosis erhalten.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss die erforderliche Logistik umgehend aufgebaut werden, um alle Impfstellen ausreichend und just in time mit Impfstoff versorgen zu können. Versagt die Politik hier abermals, besteht die große Gefahr, dass Virusmutationen die Anpassung der jetzt verfügbaren Vakzine erforderlich machen. Das wäre der absolute Super-GAU! Um diese absehbaren Risken zu minimieren, kann die Richtschnur nur sein: Impfen, impfen, impfen!
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat bereits reagiert und seinen Erlass zur Impfung der Bevölkerung gegen Covid-19 modifiziert. Danach soll die Immunisierung von Erziehern, Lehrern, Polizeikräften und des Personals in Behinderteneinrichtungen vorgezogen werden, weil hier ein erhöhtes Ansteckungsrisiko vermutet wird.
Dem Gesundheitsministerium ist bei der Erlassanpassung aber offenbar eine kleine Fehlleistung mit gravierenden Auswirkungen unterlaufen. Die Kolleginnen und Kollegen des Vollzuges wurden augenscheinlich übersehen. Dabei besteht auch hier ein hohes Infektionsrisiko. Zwar ist der Vollzug bislang gut durch die Pandemie gekommen. Sollte sich dies jedoch ändern, dann können sich Vollzugseinrichtungen von einem Tag auf den anderen zu Infektionshotspots entwickeln.
Im Vollzug können Abstände nicht immer eingehalten werden, zumal wenn bei Sicherheitsstörungen körperlich auf Delinquenten eingewirkt werden muss. Der Dienstherr und auch die Gesellschaft erwarten von Vollzugsbediensteten, dass sie notfalls ihre Gesundheit und ihre körperliche Unversehrtheit riskieren. Im Gegenzug dürfen Vollzugsbedienstete allerdings auch erwarten, dass sie keinen Gefahren ausgesetzt werden, die vermeidbar sind.
Die im Vollzug lauernden Gefahren werden gern unterschätzt. Dabei sollte zumindest dem Gesundheitsministerium bewusst sein, dass bei einem großflächigen Infektionsgeschehen in den Gefängnissen sehr schnell das Funktionieren des gesamten Systems in Gefahr geriete. Dies würde im schlimmsten Fall zu einer konkreten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen. Und es ist zu bezweifeln, dass die Gesellschaft eine solch vermeidbare Entwicklung mit verstärktem Vertrauen in politische Entscheidungen belohnen würde.
Die Politik ist gegenwärtig nicht in der Position, sich weitere Fehler leisten zu können. Deshalb sollten die Vollzugsbediensteten sofort wie Polizeikräften priorisiert werden. Besser wäre es noch, mit dem Impfen unverzüglich zu beginnen, weil die Gefahr des Kollabierens der gesamten Organisation wohl nirgends so hoch ist wie im Bereich des Strafvollzuges.
Weil Erlasse vielfach über ein großes Beharrungsvermögen verfügen, ist jetzt die politische Leitung des Gesundheitsministeriums gefordert. Der Minister selbst wird in den kommenden Monaten besonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Er wird entweder der Sündenbock oder der Held der Corona-Pandemie werden. Um Heldenstatus zu erlangen, dürfen jetzt aber keine Fehler mehr gemacht werden. Und deshalb ist es so wichtig, nicht gleich mit einem Fehler zu Lasten des Vollzuges zu beginnen.
Wenn es Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) dann noch gelingen sollte, das Impfen so zu beschleunigen, dass alle Impfstoffmengen zeitnah verimpft, dass mit Schnelltests die Gefahren von Lockerungen reduziert und mittels IT-Technik die Ausbreitung und Nachverfolgung von Infektionen überwacht werden können, dann wird er nicht nur der Gesellschaft, sondern auch seiner Partei einen großen Dienst erwiesen haben. Die CDU könnte in diesem Fall voller Hoffnung und Selbstvertrauen der Bundestagswahl am 26. September 2021 entgegensehen.
Bevor es soweit ist, sind allerdings noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Der Vollzug erwartet von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), dass seine berechtigten Forderungen erfüllt werden und auch die Vollzugsbediensteten wie die vergleichbaren Polizeikräfte in der Priorisierungsrangliste aufrücken, damit unwägbare Risiken für die Sicherheit der Allgemeinheit unbedingt vermieden werden können.
Friedhelm Sanker