Schluss mit der Ignoranz
BSBD fordert vor der Bundestagswahl mehr Aufmerksamkeit der Politik für die Nöte im Strafvollzug
Manche Haftanstalten platzen aus allen Nähten. Die Stimmung wird aggressiver, aber die Politik schaut weg. Das muss sich dringend ändern, fordert BSBD Vorsitzender René Müller im Interview. Er hat dafür auch ein paar ganz konkrete Vorschläge.
Herr Müller, es mehren sich die Berichte, dass Haftanstalten in Deutschland am Limit sind und es zum Teil schwieriger wird, Gefangene überhaupt noch unterzubringen. Wie ernst ist die Lage?
Tatsächlich hat die Zahl der Gefangenen im vergangenen Jahr wieder zugenommen. Vor allen Dingen in den Metropolen und dort gerade in Anstalten mit Untersuchungshaftplätzen. Die sind nicht nur stark ausgelastet, sondern stellenweise schon drastisch überbelegt.
Ist es vielleicht nur ein vorübergehendes Problem?
Danach sieht es im Moment nicht aus. Die Lage verschärft sich noch einmal dadurch, dass auch die Kliniken für psychisch kranke Straftäter, also der Maßregelvollzug, überfüllt sind. Die Justizvollzugsanstalten helfen aus und übernehmen Gefangene von dort, wodurch die Kapazitäten noch enger werden. Und dann hat auch noch die Zahl der schweren extremistischen Straftaten zugenommen, ich verweise hier auf die Anschläge in Magdeburg und Solingen. Für die Unterbringung solcher Straftäter müssen ganz besondere Vorkehrungen und Sicherungsmaßnahmen getroffen werden. Das bindet viel Personal und beeinträchtigt bisweilen den regulären Anstaltsbetrieb erheblich.
Womit wäre den Haftanstalten am meisten geholfen?
Na ja, nach wie vor brauchen wir vor allem mehr Personal. Noch immer sind etwa 2000 Stellen für Bedienstete in deutschen Gefängnissen nicht besetzt.
Es gibt die Stellen, aber es fehlt an den entsprechenden Bewerbern?
Richtig. Die Bewerberlage für Berufe im Justizvollzug ist schlecht, das scheinen noch nicht alle in der regierenden Politik zu verstehen. Zu wenig Personal geht zu Lasten der Sicherheit der Bevölkerung. Die Bundesländer setzen die richtigen Anreize, wenn sie jungen Menschen die Laufbahn als Beamter oder Beamtin im Vollzugsdienst anbieten. Mittlerweile versuchen sie allerdings verstärkt, Tarifbeschäftigte, statt Beamte im Strafvollzug einzustellen.
Was ist verkehrt daran?
Diese Tarifbeschäftigten bekommen einen Kurzeinführungslehrgang und sollen im Vollzug arbeiten, ohne dass sie hinreichende Kenntnisse in Psychologie, Pädagogik oder Rechtskunde haben. Für sie gilt die Fürsorgepflicht des Staates nicht in dem Umfang, wie sie für Beamte gilt, das heißt, sie sind schlechter abgesichert. Das alles ist natürlich sehr schwierig und verändert über kurz oder lang auch den Vollzugsdienst. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir haben in den Anstalten bereits zahlreiche Tarifbeschäftigte mit Fachkenntnissen zum Beispiel im Handwerk. Sie leisten sehr gute Arbeit, und ohne sie ist der Alltag in den Haftanstalten kaum noch zu bewerkstelligen. Nur sollte man deren Zahl im Interesse des Justizvollzugs nicht noch weiter erhöhen.
Auch Beamte sind nicht unfehlbar. Häftlinge der JVA Augsburg-Gablingen in Bayern berichteten unlängst, sie seien von Justizbeamten getreten, geschlagen und nackt in speziellen Keller-Zellen eingesperrt worden. Ist das nur ein Einzelfall?
Das alles wird ja noch untersucht. Zunächst einmal gilt die Unschuldsvermutung, und momentan habe ich keine Zweifel, dass die Vorgänge aufgeklärt und sich die meisten Vorwürfe, wenn nicht sogar alle, als haltlos erweisen werden. Wir als BSBD wehren uns dagegen, wenn jetzt in manchen Medien ein ganzer Berufsstand unter Generalverdacht gestellt wird. Das geschieht dann bisweilen auch aus Unkenntnis.
Es ist ja sogar der Vorwurf der Folter erhoben worden.
Im genannten Fall geht es unter anderem darum, dass Gefangene in einem Raum mit nur einer Matratze untergebracht wurden und dies auch mit einer Entkleidung verbunden war. Das ist nichts Außergewöhnliches. Für schwierige Situationen in den Justizvollzugsanstalten gibt es besonders gesicherte Hafträume, in denen Gefangene bisweilen untergebracht werden müssen. Und da werden auch besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen.
Was gehört zu solchen Maßnahmen?
Es ist notwendig, den Gefangenen vor der Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum gründlichst zu durchsuchen, da es bekanntlich etliche Körperstellen gibt, an denen er gefährliche Gegenstände wie zum Beispiel eine Rasierklinge verstecken kann. Gegenstände oder Kleidung, die dazu geeignet sind, sich oder andere zu verletzen oder sich zu suizidieren, werden dabei natürlich abgenommen. Man muss bedenken, dass wir es zumeist mit schweren Kriminellen, aber auch mit unter starkem psychischen Druck stehenden Menschen zu tun haben, die nicht immer rational handeln. Und wenn dann einseitig Darstellungen von Gefangenen transportiert werden und diese Behauptungen wie Folter ungeprüft an die Öffentlichkeit gelangen, ergibt das ein völlig falsches Bild vom Justizvollzug.
Aber Sie machen schon die Erfahrung, dass bei insgesamt schwierigen Rahmenbedingungen die Spannungen zwischen Justizvollzugsbeamten und Häftlingen zunehmen?
Es ist tatsächlich so, dass die Überfüllung der Anstalten und die zunehmende Aggressivität von Gefangenen dazu führt, dass sich die Stimmung verhärtet. Unsere Kollegen müssen schon ein hohes Maß an Professionalität an den Tag legen, um den Dienst so zu verrichten, wie es sich gehört. Es kann immer Verfehlungen einzelner geben. Wenn Beanstandungen, Beschwerden oder sogar Anzeigen gegen Vollzugsbedienstete vorliegen, wird untersucht, ermittelt und gegebenenfalls von Gerichten entschieden, ob sich jemand schuldig gemacht hat oder nicht. Wir leben in einem Rechtsstaat, der, wie sich gerade in dem Fall aus Bayern zeigt, auch funktioniert. Wir sollten aber nicht vergessen, wie wichtig es ist, dem gesamten Personal im Strafvollzug immer wieder den Rücken zu stärken und den Bediensteten auch zu vermitteln, dass man Vertrauen in ihre Arbeit hat.
Mit Ihren Hinweisen auf die angespannte Lage in den Haftanstalten finden Sie in der Politik nicht immer Gehör. Warum nicht?
Da will ich differenzieren. In etlichen Bundesländern gibt es durchaus konstruktive Gespräche, in denen wir als BSBD zusammen mit den Justizministern nach Lösungen für die Probleme in den Haftanstalten suchen. Wenn ich aber Revue passieren lasse, wie sich das Bundesjustizministerium gegenüber uns als Interessenvertretung der Strafvollzugsbediensteten verhalten hat, dann kann ich nur sagen: Hier herrschte komplette Ignoranz. Wir haben mehrfach um Gesprächstermine bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gebeten – es haben keine stattgefunden. Das war ein ganz, ganz schwaches Bild, das der Minister da abgegeben hat. Eine ähnliche Ignoranz gegenüber unseren Anliegen haben wir übrigens in Thüringen erlebt. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass die extreme AfD bei den Wahlen dort so viele Stimmen bekommen hat. Politik muss sich um die Menschen im Lande kümmern, und natürlich auch um die Bediensteten. Also: Schluss mit der Ignoranz!
Was kann und sollte denn eine neue Bundesregierung Ihrer Ansicht nach tun, um für Entspannung in den Haftanstalten zu sorgen? Das meiste ist ja Ländersache.
Gerade bei bestimmten neuen Bundesgesetzen wollen wir natürlich mit einbezogen werden. Nehmen wir als Beispiel die Änderung des Sanktionenrechts. Da ist jetzt unter anderem geregelt, dass Therapieversager – also zum Beispiel drogenabhängige Straftäter, die eigentlich in Therapie gehören, aber wieder rückfällig werden – in den Justizvollzugsanstalten verbleiben können. Der Hintergrund ist eigentlich nur der, dass es in den Therapieeinrichtungen an Plätzen fehlt. Und so werden die Probleme in die Haftanstalten verlagert, wodurch diese erheblich belastet werden. Gegen solche Regelungen wollen wir unsere berechtigten Einwände anbringen können.
Gibt es weitere Beispiele für ein mögliches stärkeres Engagement des Bundes?
Sache der Bundespolitik wäre es auch, eine Art Bundesgefängnis für radikale und extremistische Straftäter zu schaffen. Die Sicherheitsmaßnahmen, aber auch die Programme, die für solche Straftäter erforderlich sind, überfordern viele Haftanstalten. Ein zentrales Gefängnis, in dem auch gezielter an der Resozialisierung solcher Straftäter gearbeitet werden könnte, wäre der richtige Weg. Es handelt sich hier ja nicht um ein landesspezifisches Problem, sondern um eines, das das gesamte Bundesgebiet betrifft. Noch besser wäre eine europaweite Vernetzung beim Umgang mit inhaftierten extremistischen Straftätern.
Und das Problem der unbesetzten Stellen?
Es wäre schön, wenn der Bund hier und da Kampagnen der Länder unterstützen würde, in denen es darum geht, mehr Aufmerksamkeit für die Arbeit im Justizvollzug zu schaffen und zukünftige Bewerber für den Justizvollzug anzusprechen. Und noch ein Punkt ist uns wichtig: Nach wie fehlt die Möglichkeit der vereinfachten Auskunftssperre im Melderegister für Vollzugsmitarbeiter. Gerade in Zeiten zunehmender Übergriffe auf Beamte braucht es Möglichkeiten, deren Daten zu schützen. Entsprechende Schreiben und Stellungnahmen, die wir als BSBD und auch der Gerichtsvollzieherbund über den dbb an das Bundesinnenministerium geschickt haben, blieben bislang unbeantwortet.
Im Bundestagswahlkampf spielt der künftige Umgang mit Flüchtlingen eine große Rolle, insbesondere die Möglichkeit konsequenterer Abschiebungen. Erhoffen Sie sich von solchen Maßnahmen Entlastungen für die Haftanstalten?
Im Gegenteil, das macht uns momentan große Sorgen. Werden solche Maßnahmen von einer künftigen Bundesregierung umgesetzt, dann bedeutet das, dass mehr Menschen in Abschiebehaft genommen werden. Da die Kapazitäten der dafür vorgesehenen Einrichtungen nicht ausreichen dürften, könnten Flüchtlingen bis zum Zeitpunkt der Abschiebung auch wieder im Justizvollzug untergebracht werden. Aber niemand befasst sich mit der Frage, ob die Haftanstalten das überhaupt leisten können. Und das ist wieder typisch: Der Justizvollzug bleibt ein unbeleuchtetes Thema in Deutschland. Und alle Bediensteten, die Tag für Tag dafür sorgen, dass der Laden trotz aller Widrigkeiten läuft, erhalten bei Weitem nicht die Aufmerksamkeit und Anerkennung von Politik und Gesellschaft, die sie verdienen. Das muss sich ändern.
Interview: Volker Goebel.
(Der Autor ist Journalist, hat bei Neue Presse und HAZ in Hannover gearbeitet und war lange Zeit auch zuständig für das Thema Tarifpolitik.)