Was sich hinter sperrigen Begriffen verbirgt, hat für die Betroffenen oftmals unliebsame finanzielle Konsequenzen. Vor fünfzehn Jahren hatte die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Vertrauen in die Verlässlichkeit und Gerechtigkeit staatlicher Entscheidungen schweren Schaden zugefügt.
Um die veritable Finanzierungslücke in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu schließen, belegte die damalige Bundesregierung u.a. die Bezieher von Betriebsrenten, Mieteinnahmen sowie sonstigen Versorgungsbezügen mit der Verdoppelung ihrer Krankenversicherungsbeiträge.
Betroffene mussten nicht den halben Krankenversicherungssatz zahlen, wie es bis dahin üblich war, sondern den üblicherweise bei Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber zu entrichtenden Beitragsanteil gleich mit. Von einem Tag auf den anderen griff sich der Staat bis zu 9 Prozent von der zusätzlichen Altersversorgung vieler Menschen. Das Vertrauen in die Politik war schwer erschüttert.
Nachdem die Konjunktur wieder Fahrt aufnahm und die gesetzlichen Krankenkassen wieder ausreichend finanziert waren, hätte man als Betroffener erwarten dürfen, dass diese unsoziale Regelung rückgängig gemacht wird. Doch weit gefehlt! Sie gilt bis auf den heutigen Tag. Besonders sind dabei die Hinterbliebenen von Beamten betroffen, die bei eigener Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse Hinterbliebenenversorgung beziehen. Von diesen Versorgungsleistungen werden dann zusätzlich durchschnittlich 16 Prozent Krankenkassenbeitrag fällig.
Von dieser Regelung sind derzeit 6 Millionen Menschen betroffen. Der Charme der seinerzeitigen Entscheidung von Rot-Grün bestand darin, dass sie für die meisten Betroffenen zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam wurde, nämlich jeweils mit dem Bezugsbeginn der mit Beiträgen belasteten Leistungen. Von daher spielte der Zugriff der Regierung Schröder auf diese Leistungen in der öffentlichen Diskussion keine bedeutsame Rolle. Die Betroffenen hielten auch lange still, weil sie nicht wussten, dass sie Teil einer großen Gruppe waren.
Im Zuge der Verabschiedung der Grundrente hatte Gesundheitsminister Jens Spahn einen Vorstoß zur Abschaffung der Doppelverbeitragung unternommen. Sein Appell zerschellte an Kanzlerin Angela Merkels ablehnender Haltung. Um so überraschender war es, dass sich SPD und Union jetzt auf eine Reduzierung der unsozialen Regelung zur Sanierung der GKV einigen konnten.
Kanzlerin Merkel gab ihren Widerstand erst ganz zum Schluss auf. Ihr, die vieles speziell auf der europäischen Ebene mit dem Geld der deutschen Steuerzahler regelt, waren die 1,2 Mrd. Euro für die Betroffenen vermutlich zu viel. Die Koalitionäre von Union und SPD wollten allerdings das Vertrauen der Menschen in die zusätzliche Altersversorgung stärken und sie einigten sich deshalb auf einen Kompromiss. Dies ist zwar ein halbherziges Vorgehen, aber immerhin ein Anfang.
Dabei sind die zusätzlichen Einnahmen für die gesetzlichen Kassen gar nicht mehr nötig. Ihre Finanzen sind längst saniert, weshalb die Betroffenen zumindest einen moralischen Anspruch auf Abschaffung der Doppelverbeitragung haben. Doch dazu konnte sich die Regierung leider nicht durchringen. Wahrscheinlich fehlte es an der notwendigen Lobbyarbeit, um den vollständigen Wegfall der Doppelverbeitragung durchzusetzen.
Die Koalitionäre haben die bisherige Freigrenze von 155,75 Euro monatlich, bis zu deren Höhe bislang keine Doppelverbeitragung stattfand, in einen echten Freibetrag umgewandelt. Hierdurch werden auch höhere Beträge für die ersten 155,75 Euro von der Erhebung doppelter Beiträge freigestellt. Die „Einnahmeausfälle“ hat die GKV zu tragen, der künftig nach Berechnung von Experten rd. 1,2 Mrd. Euro weniger zur Verfügung stehen werden.
Damit ist die Reduzierung der Doppelverbeitragung angesichts der über 6 Mio. Betroffenen fast so teuer wie die eingeführte Grundrente. Künftig werden die Bezieher von beamtenrechtlicher Hinterbliebenenversorgung, die selbst pflichtversichert sind, wohl jene Beitragszahler sein, die den größten Anteil an der dann reduzierten doppelten Beitragspflicht zu tragen haben. Zwar wird auch dieser Personenkreis entlastet, prozentual aber doch am geringsten.
Die derzeitige Bundesregierung konnte sich zu der vollständigen Abschaffung der Doppelverbeitragung nicht durchringen, obwohl der Zweck, für den die zusätzliche Belastung 2004 eingeführt wurde, nicht mehr gegeben ist.
Während die SPD die vollständige Rücknahme der doppelten Beitragslast anstrebte, wurde die Idee des Freibetrags durch die CDU in die Diskussion eingeführt, die hierin einen Ausgleich für ihre Zugeständnisse bei der Grundrente sah. Letztlich zeigten sich die Koalitionspartner mit dem gefundenen Kompromiss zufrieden.
Loben muss man die Regierung für ihren Kompromiss sicherlich nicht. Schließlich ist es ihr nicht gelungen, den dreisten Zugriff von Rot-Grün auf das Geld der unteren Mittelschicht zurückzunehmen. Damals wäre es gerechter gewesen, Gut- und Besserverdiener durch Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze zur Finanzierung der bestehenden Beitragslücke heranzuziehen.
Die jetzt erfolgte teilweise Rücknahme einer seit fünfzehn Jahren wirksamen sozialpolitischen Zumutung, die viel „Vertrauensporzellan“ zerschlagen hat, ist kein heroischer politischer Akt, für den die Regierung Lob verdient hätte. Eine Zumutung bleibt eine Zumutung, auch wenn sie weniger stark wirkt.
Friedhelm Sanker