Derzeit ist Thomas Middelhoff der wohl prominenteste Strafgefangene der Republik. Sein selbstbewusstes, teilweise auch arrogantes Auftreten hat der ehemalige Top-Manager auch während seiner Inhaftierung beibehalten. Middelhoff wäre nicht Middelhoff, verfolgte er nicht stets den Anspruch, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten.
Folglich hat er auch die Zeit der Strafverbüßung strategisch geplant. Doch jetzt im Angesicht der bevorstehenden Entlassung könnte er noch einmal auf die verhasste Justiz angewiesen sein, deren Agieren er in seinem speziellen Fall geradezu als Zumutung empfunden hat, wenn man seiner Autobiografie in diesem Punkte Glauben schenken darf. Die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bielefeld hat zwar entschieden, dass Middelhoff nach Verbüßung von zwei Dritteln ´seiner dreijährigen Freiheitsstrafe wegen der in seinem Fall günstigen Sozialprognose entlassen werden soll. Doch hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Bochum erhebliche Bedenken und hat sofortige Beschwerde eingelegt.
Vor fast drei Jahren ist Thomas Middelhoff durch das Landgericht Essen wegen Steuerhinterziehung und Untreue zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Noch während des Prozesses wurde der ehemalige Spitzenmanager wegen der begründeten Gefahr, er könne sich ins Ausland absetzen, festgenommen. Die nächsten fünf Monate brachte Middelhoff in einer Einzelzelle der Untersuchungshaftanstalt Essen zu. Gesetzlich zulässige und im konkreten Einzelfall gebotene Sicherungsmaßnahmen ließ er durch seine Anwälte als menschenverachtende Folter kritisieren und fand in dem offensichtlichen Bemühen, seine Freilassung auf Kaution mit dieser Strategie durchzudrücken, auch noch die Unterstützung der Rechtspolitikerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen).
Die Reststrafe verbüßt Middelhoff derzeit im offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne. Für die Zeit der Strafverbüßung hatte er sich eine Hilfstätigkeit in einer Behinderteneinrichtung besorgt. Entsprechend seinem Kalkül wurde ihm die angestrebte Weiterbeschäftigung auch tatsächlich gewährt. Anstatt jedoch über die liberale Ausrichtung und Ausgestaltung des bundesdeutschen Strafvollzuges froh und glücklich zu sein, tat sich Middelhoff mit seiner Autobiografie als scharfer Kritiker des Vollzuges und mit dem Anspruch hervor, den Vollzug grundlegend reformieren zu wollen.
Im März 2015 musste Middelhoff, der zuvor als Manager und Investmentbanker Millionen verdient hatte, Privatinsolvenz anmelden. Fünfzig seiner Gläubiger sollen mehr als 400 Millionen Euro an Forderungen geltend gemacht haben. Ein Großteil der Forderungen ist allerdings streitbefangen, so dass sich das Insolvenzverfahrens wegen der notwendigen Klärung der teilweise komplexen Sachverhalte ziehen dürfte.
Zwischenzeitlich ist der eingesetzte Insolvenzverwalter mit der Prüfung der Frage befasst, ob das Autorenhonorar Middelhoffs für sein autobiografisches Werk „A 115 – Der Sturz“ seinen Gläubigern zusteht. Middelhoff soll für diesen Fall Vorsorge getroffen haben. Dem Vernehmen nach soll er die Autorenvergütungen bereits vor Jahren rechtsverbindlich abgetreten haben.
In den zurückliegenden Wochen hat es der Vollzug dem Strafgefangenen Middelhoff ermöglicht, durch die Talkshows zu tingeln, um sein Buch zu vermarkten. Mit diesem Werk hat er scharfe Kritik am Essener Landgericht und an seiner Unterbringung in der Untersuchungshaft der JVA Essen geübt. Er dürfte damit vielen Juristen und Politikern vor den Kopf gestoßen haben. Abläufe und Strukturen des Strafvollzugs in der Nazi-Zeit unterschieden sich „nur geringfügig" von denen im modernen Vollzug, meinte Middelhoff feststellen zu müssen. Reflexionen über sein eigenes Verhalten und dessen teilweise strafrechtliche Relevanz sucht man hingegen vergebens.
Allein, dass Middelhoff in diesem Zusammenhang auf den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer verweist, der im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, deutet auf den Realitätsverlust hin, den Middelhoff erlitten haben muss. Auch der Vergleich des derzeitigen Strafvollzuges mit den Verhältnissen im Dritten Reich lässt Schlimmes für die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch den Strafgefangenen befürchten. Oder glaubt Middelhoff etwa, er hätte einen Rechtsanspruch auf Unterbringung in einem für ihn zu errichtenden „Fünf-Sterne-Knast“?
Angesichts dieser Einlassungen verwundert es nicht, dass die Staatsanwaltschaft Bochum Zweifel an den Feststellungen der Bielefelder Strafvollstreckungskammer hegt und nicht überzeugt zu sein scheint, dass die Middelhoff attestierte günstige Sozialprognose zutreffend ist.
Demnächst werden die Richter des Oberlandesgerichts Hamm über die sofortige Beschwerde der StA Bochum zu befinden haben. Bis dahin wird sich Middelhoff gedulden müssen, bis er endgültige Gewissheit hat, ob er noch in diesem Jahr entlassen werden wird. Der Strafgefangene Middelhoff wäre gut beraten, die Entscheidung des Gerichts in Demut abzuwarten.
Middelhoff sollte ursprünglich nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn erkannten Freiheitsstrafe von drei Jahren am 26. November 2017 aus der Haft entlassen werden. So hatte es die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld geschlossen und eine Bewährungszeit von drei Jahren festgesetzt. Durch die Beschwerde der StA Bochum sind die auf dieser Entscheidung beruhenden Planungen Middelhoffs allerdings bereits Makulatur.
Friedhelm Sanker