Obwohl der Mangel an Schutzkleidung und Masken in den nordrhein-westfälischen Vollzugseinrichtungen zwischenzeitlich behoben scheint, ist die Testfrequenz immer noch unzureichend. Trotz dieser zu Beginn der Pandemie beklagenswerten Situation, ist der Vollzug bislang gut durch die Zeit der Krise gekommen, dies muss man fraglos zugestehen. Dieser positive Trend muss jedoch nicht von Dauer sein.
Der Vollzug wäre deshalb gut beraten, jetzt ein Konzept zu entwickeln, wie der Vollzug unter den Bedingungen des SARS-CoV-2-Virus möglichst risikolos gestaltet werden kann. Das Unterbinden der Sozialkontakte der Inhaftierten war eine wirksame Sofortmaßnahme, kann aber für einen langen Zeitraum nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft gespalten, die Stimmung ist gereizter, der Umgang miteinander ist unleidlicher geworden. Rechthaberei überall, wohin man auch schaut. Offenbar können die Leute mit klaren Ansagen umgehen, sind jedoch völlig verunsichert, wenn Regelungen komplex und situationsangemessen ausgestaltet werden. Dabei ist das Infektionsgeschehen in den einzelnen Regionen des Landes sehr unterschiedlich und es ist mehr als verständlich, dass die geltenden Schutzvorschriften dies berücksichtigen.
Vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern scheint diese Situation und das Erfordernis, Selbstdisziplin üben zu müssen, nicht sonderlich zu behagen. Wie sonst ist es zu verstehen, dass der Umstand, es könne so etwas wie Fakten oder wissenschaftliche Erkenntnisse geben, von vielen als gigantisches Täuschungsmanöver angesehen wird.
Als Gesellschaft laufen wir Gefahr, die Segregation so weit zu treiben, dass ein einheitlicher Wille zum Überwinden der Krise nicht mehr erkennbar ist. Wenn aber jeder als Teil einer gesellschaftlichen Teilmenge individuelle Interessen vertritt und diese auch durchsetzen möchte, dann wird es schwierig, als Gesellschaft mit Belastungssituationen angemessen umzugehen. Denn eines dürfte klar sein: Je größer der Zusammenhalt, desto höher ist die Aussicht, krisenhafte Entwicklungen ohne allzu große Schäden zu überstehen.
Dabei gibt es nicht die eine Wahrheit, wie mit der Pandemie umzugehen ist. Unsere nördlichen Nachbarn in Schweden haben auf einen Lockdown verzichtet. Sie wurden dafür belächelt und mit Häme überzogen. Jetzt aber zeigt sich, dass die Infektionen auch in Schweden zurückgehen, kaum noch schwere Verläufe zu beobachten sind und seit Anfang Juli kein Todesfall mehr zu beklagen ist. Daneben ist ein beträchtlicher Teil der Schweden immunisiert, so dass erwartet werden darf, dass sich die Ansteckungsrisiken verringern. Eine zweite Welle, von der bei uns gesprochen wird, scheint in Schweden kein Thema zu sein.
Das Beispiel zeigt einmal mehr: Viele Wege führen nach Rom. Schweden hatte zu Beginn der Pandemie zwar eine überproportional hohe Sterbequote zu beklagen, dafür konnten wirtschaftliche Verwerfungen, unter denen Deutschland leidet und noch leiden wird, allerdings vermieden werden.
So wie sich die einzelnen Länder unter Beachtung ihrer spezifischen Prioritäten zu der Pandemie verhalten, ist es jetzt an der Zeit, dass der Vollzug seinerseits ein zukunftsfähiges Konzept aufstellt, damit er zu einer neuen Normalität zurückfinden kann.
Das bislang Erreichte sollte nicht riskiert werden. Die Sozialkontakte der Gefangenen werden nach und nach wieder zugelassen. Dies ist richtig, erhöht allerdings das Ansteckungsrisiko. Da diese Maßnahme von zunehmenden Infektionen außerhalb des Vollzuges flankiert wird, sind innerhalb der Einrichtungen die Risiken möglichst zu minimieren.
Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist Nordrhein-Westfalen bislang sehr erfolgreich. Nordrhein-Westfalen verfügt bundesweit über die größte Gefangenenpopulation und den größten Personalkörper. Trotzdem hatten sich in NRW bis Anfang August nur 11 Gefangene und 35 Bedienstete infiziert. Lediglich 46 Infektionen sind im Vergleich mit Bayern (55 Infektionen) und Baden-Württemberg (62 Infektionen), die über deutlich kleinere Vollzugsbereiche verfügen, ein geradezu sensationeller Wert.
Nach Einschätzung des BSBD sind jetzt zusätzliche Anstrengungen erforderlich, um das Erreichte nicht zu gefährden. Die Infektionszahlen außerhalb des Vollzuges steigen. Die Virologen schließen eine zweite Welle der Pandemie nicht aus und zudem steht die Grippesaison vor der Tür.
Um diese absehbaren Risiken zu beherrschen, empfiehlt der BSBD, Grippeschutzimpfungen in allen Vollzugseinrichtungen für die Inhaftierten, aber auch für Kolleginnen und Kollegen anzubieten, damit sich die Infektionsrisiken nicht überlagern, was die Symptomerkennung schwierig machen würde.
Daneben sollten die Kolleginnen und Kollegen periodisch auf das SARS-CoV-2-Virus getestet werden, damit Infektionen schnell erkannt und die Betroffenen isoliert werden können. Das nochmalige Kappen der Sozialkontakte der Inhaftierten sollte hingegen möglichst vermieden werden, weil dem Zusammenhalt von Lebensgemeinschaften für die Wiedereingliederung von Delinquenten besondere Bedeutung zukommt. Dies ist auch deshalb so wichtig, weil die Beziehungen, die Gefangene haben, oftmals sehr zerbrechlich sind. Sie bedürfen der Stabilisierung durch regelmäßige persönliche Kontakte, damit sie die erhoffte stützende Funktion nach der Entlassung des Gefangenen übernehmen können.
Wenn wir die kommende Phase auch noch positiv gestalten können, besteht eine gute Chance, die Zeit bis zur Verfügbarkeit eines wirksamen Impfstoffes ohne ein großes Infektionsgeschehen zu überbrücken. Wir sollten alles unternehmen, damit diese positive Perspektive Realität werden kann.
Friedhelm Sanker